Blind vor Elan
David Hohl ist einer von den Guten – jedenfalls hat er das immer geglaubt. Einer von den besonders Guten sogar, die ihr Leben aus Überzeugung in den Dienst einer gerechten Sache stellen, geht er doch 1990, gerade mal Mitte 20, als Angestellter der Schweizer Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe DEH nach Ruanda. Ein bisschen Abenteuerlust mag dabei auch eine Rolle gespielt haben, doch die wird schon bald enttäuscht.
Kigali, die Hauptstadt dieses zentralafrikanischen Musterländles, ähnelt fatal einer Schweizer Kleinstadt, «ein Kaff, verschlafen, ordentlich, aufgeräumt, langweilig. (...) ein beschaulicher Flecken, die Straßen gekehrt und von Palisanderbäumen beschattet, sicherer als die meisten Städte Europas. Und deswegen schrecklich langweilig.»
Vier Jahre später, nachdem er genau an diesem unspektakulären Ort die systematische Ermordung eines ganzen Volkes hautnah miterlebt hat, ist sich David nicht mehr so sicher, zu welcher Seite er eigentlich gehört. Es tauchen Zweifel auf, ob es da nicht eine verhängnisvolle Symbiose gegeben hat «zwischen unserer Tugend und ihrem Verbrechen», ob nicht die zuverlässige Unterstützung und Beratung eines fragwürdigen ...
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