Avancen aus der Trennungskrise
In Trennungskrisen neigt der Mensch zur Übertreibung und zur Offensichtlichkeit. Jeder kennt das: Man redet zu viel, lacht zu laut, weint zu falsch. Man weiß nicht mehr, wer man ist, was man will und was man kann, aber das mit aller Entschiedenheit. Es muss die Angst vor dem Verschwinden sein, die in Zeiten des Wandels zu unkontrollierten Gefühlskundgebungen und zwanghaften Selbstoffenbarungen führt.
Die Angst vor dem Niemandsland zwischen Nicht-mehr-hier und Noch-nicht-dort, wo die alten Ego-Fassaden sich zerschlagen haben und neue noch nicht errichtet sind, so dass der Mensch genötigt ist, durch prophylaktischen Exhibitionismus zu vermeiden, dass er sich unfreiwillig eine Blöße gibt.
Von dieser Angst vor dem plötzlichen Verlust aller Selbst-Gewissheiten und dem Zwang, sich hinter noch instabilen Selbst-Behauptungen zu verstecken, will Sasha Waltz in ihrem jüngsten Tanztheater-Epos «Gezeiten» erzählen. Und es hätte ihr womöglich gelingen können, wäre ihre Aufführung nicht selbst das Opfer einer Trennungskrise, angekränkelt vom Angstzwang zur Selbstdarstellung, gezeichnet von Desorientierung, Profilierungswut, der nervösen, sprunghaften Suche nach einer neuen Identität.
In der ...
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