Auf Umwegen ins Ziel

Ibsen «Peer Gynt»

Zu Peer Gynt, hier entlang. Also gut. Machen wir es wie der Titelheld. Nehmen wir den Umweg. Peers Selbstfindungstrip führt von Solveig über Marokko und die halbe Welt zurück zu Solveig. Uns Zuschauer leitet ein Schilderparcours hinter die Große Bühne, hinein in den Basler Theaterbauch, mitten in Peer Gynts Industrie­heimat. Dort, im Blaumannland, wo ein Gasrohr wie ein Minarett gen Him­mel sticht (Bühne Maria-Alice Bahra), knechten Ibsens Dorfbewohner, eine verzerrte Muezzinstimme ruft per Laut­sprecher zum Schichtwechsel. Alle sind Arbeitsbienen. Nur einer nicht. Peer Gynt.


Der hoppelt herbei, ein Ritter in Papp­rüstung auf eingebildetem Streit­ross, ein Rotzbengel im Körper eines 20-Jäh­rigen. Haltung schlaff, Wampe beträcht­lich, Charisma null, Sex-Appeal dito. Mit dem Mut zur Witzfigur verscheucht Aljoscha Stadelmann sämtliche Natur­burschenklischees gleich im ersten Auftritt. Das ist kein Peer Gynt, der im Geiste mit den Adlern fliegt. Ein Maulheld, ja, aber einer mit Stummelzähnen. Ein Träumer, vielleicht, aber seine Träume klingen arm und vernuschelt. Und die hoffnungslos überfor­derte Mama Aase klemmt das fettige Haar hinters Ohr und sitzt das Leben in der ...

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Theater heute Juli 2006
Rubrik: Chronik, Seite 42
von Stephan Reuter

Vergriffen
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Vorbemerkung

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