Alles in drei Prozent?

Armin Petras dramatisiert sich im Berliner Maxim Gorki Theater durch Jonathan Littells Holocaust-Roman «Die Wohlgesinnten»

Man betritt den Theatersaal und ist verstimmt: Da hängt ein riesiger Spiegel und soll uns allen Ernstes «den Spiegel vorhalten»? Geht’s noch? Dieser Eindruck relativiert sich, wenn der riesige, das Publikum spiegelnde Spiegel plötzlich geneigt wird: Der obere Teil droht auf das Publikum zu fallen, wodurch unten auf der Bühne freier, aber enger Raum entsteht, indem die Akteure doppelt sichtbar werden und anstrengende und dramatische Dinge tun können wie durch blutverschmierten Schlamm kriechen.

Der kippende, zu fallen drohende Spiegel wäre nun nicht mehr der reflexive, in dem das Bürgertum sich selbst erkennen und ob seiner Lebenslügen zerknirscht werden soll. Es wäre vielmehr der Spiegel der Narzissten, der nicht der Erkenntnis, sondern der Selbstliebe dient: Dieser würde nun herunterknallen auf dieselben, und ohne Erkenntnis würden sie zermatscht.

    Zwei Ideen

Hätte man das vertieft, hätte man was draus machen können. Denn die zentrale Idee in Jonathan Littells «Die Wohlgesinnten» ist nicht einfach, die grauenhaftesten Momente der Menschheitsgeschichte einmal und zur Abwechslung aus Täterperspektive zu erzählen, auch nicht den Skandal zu setzen, dass dieser Täter punktuell und ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute November 2011
Rubrik: Berlin, Seite 14
von Diedrich Diedrichsen

Weitere Beiträge
Peer ohne Zwiebel

William Shakespeares entstehungsgeschichtlich umstrittenes und kaum gespieltes Stück «Perikles» gehört dem Genre der «Romanze» an und ist eine ziemlich wilde Räuberpistole. Das Drama beginnt mit einem König, der ganz offensichtlich ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Tochter lebt; es spielt auf offenem Meer und im Puff; es gibt Verfolgungsjagden und
Piraten,...

Polen: Die Network Polonaise

Was von den Schauspielern bei ihrem ersten Auftritt als «futuristisches thailändisches Bühnenbild» angesprochen wird, sieht wie ein kugeliger Bungalow vom alten Visionär Buckminster Fuller aus und erinnert zusammen mit dem aufgeschnittenen Container von Chasper Bertschinger an die legendäre Prater-Wohnfront. Die sieben Akteure haben jedoch etwas für eine...

Welche Impulse braucht die Freie Szene?

Das muss sie schon selbst entscheiden, die Freie Szene. Anders als die Stadttheater ist sie in den letzten Jahren Teil eines internationalen Netzwerks und eines elaborierten
Kunstdiskurses geworden. Das bringt neue Vergleichsmöglichkeiten, Kriterien, Finanzierungsstrukturen, Herausforderungen mit sich. Eigene lokale Süppchen zu kochen,
das ist selten noch eine...