Der Menschensucher

Zum Tod des Schauspielers Rolf Boysen

Theater heute - Logo

Der Mann, ein König, ein Tyrann, stürmt aus der Tiefe des Raums im wehenden Mantel, als wolle er alle Welt gleich überrennen. Schon ist er nah, da fährt ein unsichtbarer Blitz ihm in die Glieder, und mit dem Mann scheint auch die ganze Welt für einen Augenblick stillzustehen. Der Mann im Innehalten sagt kein Wort, nur fällt in dieser langen, kurzen Weltsekunde sein noch halb träumerischer, halb jagender Blick zum Horizont in viele Blicke.

Es war zu Anfang des «König Lear» vor zweiundzwanzig Jahren in den Münchner Kammerspielen nicht einfach nur ein Auftritt mit Aplomb, nicht nur ein sehr effektbewusster Paukenschlag. Es war, stark und zart zugleich, einer der magischen Momente des Schauspielkünstlers Rolf Boysen. Diese im deutschen Theater bis heute hundertfach kopierte Geste des Anschweigens gegenüber einem hüstelnd betretenen Publikum war damals wie ein Schock. Und es herrschte jedes Mal eine tief gespannte Stille.

Minuten später wird der alte Shakespeare-König dann aus einer abgründig unergründlichen Laune heraus sein Reich hergeben, seine Familie zerstören, in blindem Vaterzorn die Lieblingstochter verraten. Rolf Boysen, der Mitte Mai nun wenige Wochen nach seinem 94. Geburtstag ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Juli 2014
Rubrik: Nachruf, Seite 46
von Peter von Becker

Weitere Beiträge
Die Schutzbefohlenen

 
Wir leben. Wir leben. Hauptsache, wir leben, und viel mehr ist es auch nicht als leben nach Verlassen der heiligen Heimat. Keiner schaut gnädig herab auf unseren Zug, aber auf uns herabschauen tun sie schon. Wir flohen, von keinem Gericht des Volkes verurteilt, von allen verurteilt dort und hier. Das Wißbare aus unserem Leben ist vergangen, es ist unter einer...

Hingetuschte Möglichkeiten

Auch die Hexen haben heute Notebooks. Manierlich setzen sie Mac­beth an den Feldtisch, ein Klick, und er hat ihre Prophezeiungen vor sich auf dem Bildschirm: Schottlands künftige Könige in digitaler Prozession; Gefahr droht von keinem, den eine Frau geboren hat; solange der Wald von Birnam nicht aufs Schloss zumarschiert, kann nichts passieren.

Die...

Sweatshop Stadttheater

Vier Studenten machen einen Ausflug. Per Regionalzug geht es nach Dresden, weiter per Mietwagen in die Lausitz. Ins Wolfsrevier. In die versehrte Landschaft. Ins Herz der Finster­nis. «Steppengesänge» von Adele Dittrich Frydetzki, Kristina Dreit, Marten Flegel und Anna Froelicher ist ein vielfach geloopter Reisebericht, der bei jeder neuen Umdrehung ein Stück...