Klassenverhältnisse
Die Geschichte funktioniert wie ein Kippbild. Je nach Betrachtung ändert sich der Eindruck. Eine Lehrerin sieht rot, nimmt ihre Schüler in Geiselhaft und hält sie mit geladener Pistole in Schach. Der Film «La journée de la jupe» von Jean-Paul Lilienfeld paukt provokativ und polemisch als melodramatischer Thriller mit Migrationshintergrund sein Pensum durch. Dabei ist die Sachlage nie eindeutig: die Täterin ein Opfer, der Terror Reaktion auf permanentes Terrorisiertwerden.
Demonstrativ fordert die Gewaltaktion das Bildungsziel ein: diszipliniert zu lernen, sich sozialverträglich zu verhalten. Während der Film in der Pariser Banlieue spielt und gegen ein hilflos mit Konzepten und politisch motivierten Rücksichten operierendes Schulsystem votiert, wechselt die Theaterfassung zu deutschen Klassenverhältnissen. Das Berliner Ballhaus Naunynstraße hat, im Auftrag der RuhrTriennale, mit dem 1974 in Ankara geborenen Regisseur Nurkan Erpulat, dem Dramaturgen Jens Hillje, Laien und Profi-Schauspielern das Konzept entwickelt: raffinierter, reflektierter und vielschichtiger als die pamphlethafte Vorlage.
Dramaturgischer Angelpunkt ist die Spielsituation selbst. Beginnend damit, dass in der ...
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Liebe zu dritt ist ein erstrebenswerter Zustand, wenn es nach der Berliner Combo «Stereo Total» geht. In Frankfurt führt ihr beschwingtes Loblied «L’amour à trois», das die Zuschauer schon beim Eintritt in die Kammerspiele beschallt, aber in die Irre. Der Protagonist des Soloabends frei nach «Werthers Leiden» ist nämlich alles andere als ein fröhlicher Verfechter...
Ein alter Mann sitzt in einem Olivenhain und schimpft. Peter Stein in Umbrien? Nein, Ödipus auf Kolonos. 13 Jahre nach seinem Zerwürfnis mit dem damaligen Intendanten Gerard Mortier kehrte der frühere Schauspieldirektor Stein zurück nach Salzburg. In der seit Steins Zeiten von den Festspielen genutzten
Halle auf der Halleiner Perner-Insel inszenierte er «Ödipus...
«Altendorf ist da, wo es anfängt, nach Döner zu riechen. In Altendorf kann jeder Tag dein letzter sein.» Sätze wie diese schleudern die Jugendlichen zur Begrüßung Richtung Publikum und stellen dann nüchtern fest: «Altendorf ist da, wo ihr nie hingeht.» Stimmt. Selbst wenn man nur wenige Kilometer entfernt wohnt, kommt man hier nicht hin. «Dicht besiedelt und...