Welcome, Barbaren!
Besonders vertrauenserweckend sieht dieser Gerichtshof nicht aus: Die Toten und Erschlagenen des Stücks – Agamemnon, Kassandra, Klytämestra und Aigisth – kehren als blutverschmierte Gräuelleichen wieder, erklimmen ein mikrofonbestücktes Podium und bekommen von einer Elektra, die auch Pallas Athene sein könnte, vier kissengroße Richterperücken übergestülpt. Allerdings entpuppen sie sich weniger als die erhofften Gerechtigkeitsspender denn als Verfahrensspezialisten in eigener Sache.
Sie interessieren sich deutlich stärker für die Mineralwasserversorgung am Tisch als für die Verteidigungsrede des Orest, der für seinen Monolog vor den zerstreuten Oberrichtern dreimal neu ansetzen muss. Und als die vier auch noch ihre praktischen Richterhämmerchen gefunden haben, ist es mit der Konzentration endgültig vorbei. Erst zerdreschen sie lustig ein Wasserglas, dann das Verfahren. Bevor auch nur ein Stimmstein geworfen wird, ist das einseitige Erynnien-Plädoyer gegen Orest in ordentliche Rechtsform gegossen: «Für welchen Staat ist dieser Mann noch tragbar?»
Der letzte Vernunftoptimist: Peter Stein
Mit dieser kleinen Szene hat auch Regisseur Roger Vontobel im Essener Grillotheater Aischylos’ ...
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Dank demografischer Nachwuchssorgen wird derzeit auf allen Kanälen über die gesellschaftstauglichste Form des Mutterseins debattiert. Nur als dramatischer Konflikt wird das Lavieren zwischen Kindern und Karriere nach wie vor nicht ernst genommen. Allenfalls im Fernsehen schmunzelt man über die tapfere Familienmanagerin, die zwischen Spielplatz und Meeting hin und...
Lustig ist Gotscheff nie, komisch nur manchmal, grotesk fast immer. Die Kategorie des menschlichen Mitleids stellt er nur zur Verfügung, wenn er Figuren inszeniert, auf die Heiner Müllers Satz «Und immer noch rasiert Woyzeck seinen Hauptmann» zutrifft.
Aus ihnen macht er Giacometti-Figuren, aber reine Opfer sind auch sie nicht, sondern in ihrem Opportunismus ein...
Es war einmal die Paradedisziplin von Botho Strauß: Paare in ihren nicht mehr ganz frischen Jahren, anmutig überkreuz oder nebeneinander verzwirbelt im Beziehungsdickicht der bundesdeutschen Achtziger. Saturierte Selbstbeobachter schlugen ihre vielfach gebrochenen Spiegelkabinette auf, sorgsam arrangiert vor tragisch mythischen Abgründen. Die Stücke entfalteten...