Schmerzenskabarett

Frank Castorf liest Thomas Bernhards «Heldenplatz» quer mit US-Autoren, die das faschistische Deutschland bereisten, und Ulrich Rasche erkämpft mit Goethes «Iphigenie auf Tauris» erschöpfend das Gute im Menschen

Theater heute - Logo

Etwa zur Halbzeit der Inszenierung – der jüdische Mathematikprofessor Josef Schuster ist gerade beerdigt worden – hoppelt eine Mumie auf die Bühne. Vom Scheitel bis zur Sohle ist Birgit Minichmayr in Mullbinden gewickelt, sodass sie sich nur hüpfend fortbewegen und anfangs flach liegend auf einem Stuhl balancieren kann – reife Leistung für die Bauchmuskeln.

Selbst in dieser unmöglichen Lage hat ihr Robert Schuster, der Bruder des Toten, genügend Kraft, um in breitestem Wienerisch durchs Mundloch abzuschmähen: «mich wundert ja, dass nicht das ganze österreichische Volk / längst Selbstmord gemacht hat / aber die Österreicher insgesamt als Masse / sind heute ein brutales und dummes Volk / In dieser Stadt müsste ein Sehender ja / tagtäglich rund um die Uhr Amok laufen / Was diesem armen unmündigen Volk geblieben ist / ist nichts als das Theater».

Großes Gelächter. Nicht wenige Zuschauer:innen dürften bereits die vom damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann verantwortete legendäre Uraufführung von Thomas Bernhards «Heldenplatz» mit eigenen Augen gesehen haben; 1988, als eine breite Front vom sozialdemokratischen Bürgermeister Zilk über die «Kronen-Zeitung» bis zum damaligen ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute April 2024
Rubrik: Aufführungen, Seite 6
von Eva Behrendt

Weitere Beiträge
Aus der Zeit gefallen

Bunker, unfertiger Rohbau, Grenzstation, Kriegsschiff: Ein genial assoziationsreiches, multifunktionales Bühnenbild hat Katja Haß ins Stuttgarter Schauspielhaus bauen lassen. Es fährt zu Beginn beängstigend direkt aufs Publikum zu. Look aus rohem Beton, abweisend, aber praktisch zu bespielen: oben eine Aussichtsplattform, innen eine steile Treppe, die ins...

Pizza, dann Spaghetti

Die Nachricht von Renés Tod erreichte mich am ersten Urlaubstag. Gerade trabte ich auf einem Schimmel durch die Berge in der Sierra Nevada. Es war mein erster Urlaub seit Langem. René mochte keinen Urlaub. Er mochte lieber zum Beispiel Pizza und danach noch Spaghetti.

Das erste Mal sind wir uns 1999 in einer Bar am Nollendorfplatz begegnet. Christine Groß und Tabea...

Nichts ist ok!

Die Stimmung bei der Premiere in der Volksbühne war prächtig, und niemand hätte auch nur im Entferntesten gedacht, dass es René Polleschs letzte Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Partner in Crime werden würde. Nennen wir ihn «Fabian Hinrichs» wie auf dem Programmzettel, wo die Figur, die keine Figur ist, und der Schauspieler in eins fallen: ein nicht mehr ganz...