Mutterbuch im Großformat
Der Schriftsteller Édouard Louis, 1992 noch unter dem Namen Eddy Bellegueulle im nordfranzö -sischen Hallencourt geboren, hat erneut ein (sehr schmales) Buch über ein Mitglied seiner proletarischen Familie geschrieben: Auf seinen Vaterro -man «Wer hat meinen Vater umgebracht?» folgt nun das Mutterbuch «Die Freiheit einer Frau». Paul Behren, der in Falk Richters Adaption des Romans am Hamburger Schauspielhaus Édouard spielt, nimmt schon recht früh in der Inszenierung Bezug auf den Vorwurf, er wiederhole sich, erzähle immer dieselbe Geschichte: «Genau darum geht es.
» Ja, vielleicht kann man die Geschichte der Deklassierten nicht oft genug erzählen, schon gar auf den bürgerlichen Bühnen.
Obendrein gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen dem Vater- und Mutterbuch: Das eine ist die unglückliche Geschichte einer – wie Louis plausibel behauptet: systembedingten – Zerstörung, die andere ist die einer Emanzipation mit Happy End. Im gleichen Haushalt, unter denselben beschissenen strukturellen Bedingungen. Fast jedenfalls. Vater Bellegueulle muss auch noch Männlichkeit performen, saufen, schweigen, rumbrüllen, seine weiblichen, bisexuellen Anteile (und die seines Sohnes) verdrängen. ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute Mai 2022
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Eva Behrendt
Die Erinnyen sind durch. Total durch. Die Rachegöttinen schimpfen als dreifache Lucrecia über den scheiß mittelmäßigen deutschen Regen, scheißen auf den Mythos, scheißen auf die Mitte: «Alles wird von der Mitte zersetzt.» Scheiß Mythos Mitte. Und dann ist da noch das Problem mit der Rache. Das Konzept ist irgendwie am Arsch, keiner weiß, warum sie immer noch...
Wenn man an einem frühlingshaften Freitagabend zu einer «Hamlet»-Premiere die breiten Stufen des Anhaltischen Theaters hinaufsteigt und dabei nur über ein Grüppchen von sieben Leuten stolpert, begreift man, dass Dessau zu den Shrinking Cities gehört. Trotz der Fusion 2007 mit der Nachbargemeinde Roßlau, trotz Bauhaustourismus, Pharma- und Fahrzeugtechnikindustrie,...
Schenkeli. Mit großem Ernst verteidigt Karin Pfammatter die ausgebackenen Krapfen, die es in der Schweiz vor allem zur Fasnachtszeit gibt, gegen deutsche Kollegenignoranz. Sie sind das höchste der Gefühle! Man muss den Namen nur richtig aussprechen. Auch sonst ist alles entspannt bei diesem Frühstück, das sich die Performer:innen etwa zur Halbzeit des knapp...