Bookmarks des Lebens

Über die Kunst des Lesens: Anregungen u.a. von J.D. Salinger, Virginia Woolf, Olivia S. Butler

Theater heute - Logo

Für Maya Stein

Wie Musik, wie Geschmäcker, wie Gerüche: Bücher sind Bookmarks. Einem Buch wiederzubegegnen, bedeutet vor allem, der Leserin wiederzubegegnen, die man einmal war. Ich bin immer noch erstaunt über die 15 Jahre alte Sivan, die enthusiastisch mit J.D. Salinger mitgeht, zum Beispiel. Sie ist empathisch mit der Abscheu seiner Protagonisten vor ihren verlogenen, übertrieben geschminkten, geschwätzigen Ehefrauen; genau wie sie ist sie abgestoßen von der Dummheit dieser Frauen, ihrer Flachheit.

In ihrem Abituraufsatz schreibt sie: «Muriels Nagellack und ihre inhaltsleeren Telefongespräche repräsentieren für Salinger die lächerliche Seite des Menschseins.»

Bücher werden zu Lese-Zeichen. Sie beginnen, formlos, auf dem verzettelten, subjektiven Schreibtisch einer Autorin, dann werden sie lektoriert, gedruckt, einsortiert und klassifiziert, von Agenten, von Verlagen, von Kritikerinnen, die ihnen ihren «objektiven» Stempel aufdrücken, mit dem sie in unseren Regalen landen und unsere werden, nur um all dieser Etiketten wieder entledigt zu werden: Sie werden von unseren Fingern angefasst, werden unsere Begleiter, verbringen Jahrzehnte an unserer Seite. Sie sehen uns und werden ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute August/September 2020
Rubrik: Lektüresommer, Seite 58
von Sivan Ben Yishai

Weitere Beiträge
Wörter statt Zahlen

«Die Zeit friert», schreibt Aglaja Veteranyi («Wörter statt Möbel», «Der gesunde Menschenversand», 2018). Die Tage ziehen sich in die Länge, sind doch viel zu kurz und fließen ineinander. Wer weiß schon, ob heute Montag ist oder Dienstag? So vieles Gewohntes gibt es plötzlich nicht mehr zu tun, so vieles Ungewohntes gibt es plötzlich zu tun.

Ein Stapel Bücher will...

Wann, wenn nicht jetzt

Als She She Pop im vergangenen Jahr mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet wurde, fiel auf der Preisverleihung die Floskel von der «Ankunft im Establishment». Gut möglich, dass die belustigten Performerinnen sie sogar selbst im Mund führten. Doch die Formulierung hatte auch einen bitte­ren Beigeschmack. Nicht nur, dass die Gruppe das Preisgeld in Höhe von...

Das Heilige und das Profane

Eva Behrendt In der Münchner Fassung ist der Chor verschwunden. Welche Funktion hat er in «WUNDE R»?

Enis Maci Die Gemeinschaft von Ichs, die sich im Wohnzimmer der Derwischin Ha­tixhe versammeln, einer tatsächlichen Pilger­innenstätte in Tirana, ist eine heterodoxe. Da sind undogmatische Glaubenspraxen, eine gewisse Planlosigkeit. Das Gemeinsam-Sein, das man dort...