Göttingen: Die Stunde Null
An diesem Freitag hätten die Menschen die Züge noch überfüllen können, wie sie es jeden Freitag tun. Ich sollte nach Göttingen zur Uraufführung eines neuen Stücks mit dem interessanten Titel «Bombe!» reisen. Eingestellt hatte ich mich auf den üblichen Andrang im ICE, es gab aber Platz im Überfluss. Kein Problem, mindestens eineinhalb Meter Sicherheitsabstand zu halten. Vielleicht war das ja der Grund für eine scheinbar paradoxe Empfindung: Da schleicht sich ein Virus in unser Gemeinwesen ein und ist so unberechenbar, wie es nur sein kann.
Im ersten Moment sorgt es aber nicht für eine Wendung hin ins Dramatische, sondern für Entspannung. Mit der relativen Leere im ICE und auf den Bahnsteigen stellte sich schnell ein Gefühl von Entschleunigung ein, als reduziere alleine schon der Umstand, dass wir uns gegenseitig nicht mehr so auf die Pelle rücken, den Stress, den wir uns Tag für Tag zumuten.
In Göttingen war dann das Bewegungsbild auf der Straße ein völlig anderes als gewohnt. Es gab schon diese weiträumigen Ausweichbewegungen angesichts von Entgegenkommenden. Das Bewegungsmuster glich einer etwas eckigen Choreografie mit dem Ziel: Größtmögliche Distanz gewährleisten, trotzdem ...
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Theater heute Mai 2020
Rubrik: Chronik, Seite 53
von Jürgen Berger
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