Göttingen: Die Stunde Null

Abdul Abbasi, Philipp Löhle «Bombe!»

Theater heute - Logo

An diesem Freitag hätten die Menschen die Züge noch überfüllen können, wie sie es jeden Freitag tun. Ich sollte nach Göttingen zur Uraufführung eines neuen Stücks mit dem interessanten Titel «Bombe!» reisen. Eingestellt hatte ich mich auf den üblichen Andrang im ICE, es gab aber Platz im Überfluss. Kein Problem, mindestens eineinhalb Meter Sicherheitsabstand zu halten. Vielleicht war das ja der Grund für eine scheinbar paradoxe Empfindung: Da schleicht sich ein Virus in unser Gemeinwesen ein und ist so unberechenbar, wie es nur sein kann.

Im ersten Moment sorgt es aber nicht für eine Wendung hin ins Dramatische, sondern für Entspannung. Mit der relativen Leere im ICE und auf den Bahnsteigen stellte sich schnell ein Gefühl von Entschleunigung ein, als reduziere alleine schon der Umstand, dass wir uns gegenseitig nicht mehr so auf die Pelle rücken, den Stress, den wir uns Tag für Tag zumuten. 

In Göttingen war dann das Bewegungsbild auf der Straße ein völlig anderes als gewohnt. Es gab schon diese weiträumigen Ausweichbewegungen angesichts von Entgegenkommenden. Das Bewegungsmuster glich einer etwas eckigen Choreografie mit dem Ziel: Größtmögliche Distanz gewährleisten, trotzdem ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Mai 2020
Rubrik: Chronik, Seite 53
von Jürgen Berger

Weitere Beiträge
Brasilien: Im Dauerwiderstand

Noch schien Brasilien verschont zu bleiben vom Virus, die Zahl der offiziell registrierten Infizierten war gering. Aber der unberechenbare Präsident kam gerade zurück vom Besuch bei Donald Trump, und zur Entourage gehörte auch Kommunika­tionschef Fabio Wajngarten – der war positiv getestet, und also ging auch Jair Bolsonaro in die Klinik. Die finalen Ergebnisse...

Kiel: Zukunft von gestern

Funktioniert Science Fiction im Theater? Schwierig. Laurie Pennys «Everything belongs to the future» ist als Roman eine durchaus beunruhigende Dystopie, in der die Menschheit das Altern aufhalten konnte, zumindest für den Teil, der sich eine Droge namens «The Fix» leisten kann. Die Wohlhabenden verbringen ihre Tage faltenfrei zwischen Sport, Müßiggang und...

Frauenpower statt Räuberpathos

Vor drei Jahren marschierten Schillers «Räuber» noch als skandierender Männer-Bund, angeschirrt und gleichgetaktet von Ulrich Rasche, im Münchner Residenztheater über tonnenschwere Riesenlaufbänder (weshalb die Inszenierung beim Theatertreffen 2017 nur als Video-Aufzeichnung gezeigt werden konnte) und erzeugten dabei mit geballtem Gruppenpathos einen aufwühlend...