Der neue Mensch

Erschöpfte Selbstverwirklichung: Das spätmoderne Individuum und die Paradoxien seiner Emotionskultur

Theater heute - Logo

Dass das Individuum und seine Lebensführung in der Spätmoderne in eine grundsätzliche Krise geraten sind, ist ein verbreitetes Thema der kulturkritischen Debatte der Gegenwart. Das, was Alain Ehrenberg das «erschöpfte Selbst» nannte, wird in diesem Zusammenhang allenthalben beklagt.(1) Risiken der Überforderung und Überanstrengung scheinen das spätmoderne Subjekt zu charakte­risieren, und Erschöpfungskrankheiten wie Depression und Burn-out sowie psychosomatische Störungen werden zu charakteristischen Krankheitsbildern der Epoche.

Die Zeitdiagnose hat ein besonderes Interesse daran entwickelt, diese Krise des Selbst in einen ursächlichen Zusammenhang mit großformatigen gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem Kapitalismus oder der Digitalisierung zu bringen.(2) Aber auch die Psychologie und Psychotherapie liefern ihren Beitrag zur Analyse und zur individuellen Selbstbeobachtung: Die Spätmoderne ist in nie dagewesenem Ausmaß eine durchpsychologisierte Kultur, welche die Individuen unentwegt zur Selbstreflexion und Selbsttransformation animiert.(3)

Man vergisst es allerdings mittlerweile leicht – die Kultur des Selbst nach dem Epochenbruch der 1970er Jahre war mit der Hoffnung ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Januar 2020
Rubrik: Essay, Seite 46
von Andreas Reckwitz

Weitere Beiträge
Mannheim: Die Blow-Jobberin

Wie heißt er denn jetzt umgangssprachlich, der Cunnilingus, der Blow Job für die Frau? Ein merkwürdig bezeichnungsfreier Akt ist das, und das spricht natürlich auch schon für sich. Olivia Öl jedenfalls hätte gern einen, oder mehrere – aber nicht von ihrem Freund Popeye. Da ist die Scham davor: Die Scham vor dem Geruch, vor dem Geschmack, vor dem Überhaupt ihres...

Weimar: Systemarrangements

Willy Werchow (Sebastian Kowski) dürfte für viele Ex-DDRlerinnen und -DDRler ziemlich anschlussfähig sein: Als Leiter der Druckerei «Aufbruch» in der thüringischen Provinz arrangiert er sich zwar so weit mit dem System, dass es ihm keine Schwierigkeiten macht, aber auch nur so weit, dass er noch einigermaßen selbstachtungsverlustfrei in den Spiegel schauen kann....

Vorschau - Impressum (1/2020)

Musicals in New York sind in Zeiten von Donald Trump auch nicht mehr das reine Unter­haltungs­vergnügen, das sie einmal waren. Über «Hadestown» (Foto), «Dear Evan Hansen» und eine neue Art politischer Kunst

Was darf Kunst? Was heißt Repräsen­tation? Wo beginnt Diskriminierung? Ein Kunstdiskurs als neues Stück: Thomas Melles «Ode», der Stückabdruck

Sebastian...