Foto: Iko Freese

Carl Hegemann: Das Recht auf Flucht

Wer den Staat zur Sittenschule machen will, muss mit Menschen rechnen, die keine Drehorgelstifte sein wollen

Eben mal zwischen Volksbühnenabwicklung, Dernierenmarathon, dem großen Abschiedsfest auf der Rosa-Luxemburg-Straße und der letzten Gastspielreise nach Avignon den idealen Staat entwerfen? Für «Theater heute»? Auf nicht mehr als zwei bis drei Manuskriptblatt? Kein Problem: Dem Dramaturg in seiner berufsbedingten Vermessenheit ist nichts zu schwer, und diese Aufgabe gehört bei der Vielfalt seiner Tätigkeiten vielleicht noch zu den leichteren.

Den idealen Staat gibt es nämlich schon. Man findet ihn im Bienenstock oder im Ameisenhaufen.

Da läuft’s doch. Alles ist perfekt geregelt und greift ineinander wie in einer gut geölten Maschine. Und alle menschlichen Entwürfe eines idealen Staats laufen auf eine solche maschinelle Konstruktion heraus. Friedrich Hölderlin, der nebenbei auch ein tiefschürfender Staatstheoretiker war, behauptete allerdings, dass man von einer Maschine keine Idee haben kann und vom Staat also genauso wenig. «Denn nur, was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee», schreibt er mit Hegel im «ältesten Systemprogramm». Und Maschinen, die sich ja grundsätzlich durch Berechenbarkeit definieren und zuverlässige Erwartbarkeiten produzieren, schließen genau deshalb jede ...

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Theater heute Jahrbuch 2017
Rubrik: Der ideale Staat, Seite 52
von Carl Hegemann

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