Wohin die Reise geht
Missmutig drückt sich Iwanow – ein in jeder Hinsicht blasser Mittvierziger mit blöndlichem Seitenscheitel – an der heimischen Küchenzeile entlang. Seine Frau Anna Petrowna hantiert wacker lächelnd mit Obst, Gemüse und Abendbrotschüsseln und ginge locker als personifizierte Ikea-Küchen-Idylle durch, wenn ihr Kopftuch und die Strickjacke, in die sie sich mit großer Geste hineinkuschelt, nicht in aller Unmissverständlichkeit auf eine tödliche Krankheit hindeuten würden.
Es ist die Auftaktszene von Timofej Kuljabins Tschechow-Inszenierung «Iwanow» am Theater der Nationen in Moskau – und wirklich hilfreich, dass direkt mit Verklingen der letzten Silbe enthusiasmierte Zuschauer in Scharen mit kunstvollen Floralkreationen an die Rampe stürzen: ein echtes russisches Theater-Markenzeichen, das mit Grandezza die Frage aushebelt, warum ausgerechnet Moskaus Blumengeschäfte rund um die Uhr geöffnet haben und das Erste, was man nach der Ankunft am lokalen Flughafen zu Gesicht bekommt, ein stoisch vor sich hin rotierender Blumenstraußautomat ist. Ohne die Blumenobsession könnte man nämlich tatsächlich vergessen, dass man sich gerade in Moskau befindet und nicht etwa in Berlin an der Schaubühne. ...
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Theater heute Juni 2017
Rubrik: International, Seite 31
von Christine Wahl
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