Wohin die Reise geht
Missmutig drückt sich Iwanow – ein in jeder Hinsicht blasser Mittvierziger mit blöndlichem Seitenscheitel – an der heimischen Küchenzeile entlang. Seine Frau Anna Petrowna hantiert wacker lächelnd mit Obst, Gemüse und Abendbrotschüsseln und ginge locker als personifizierte Ikea-Küchen-Idylle durch, wenn ihr Kopftuch und die Strickjacke, in die sie sich mit großer Geste hineinkuschelt, nicht in aller Unmissverständlichkeit auf eine tödliche Krankheit hindeuten würden.
Es ist die Auftaktszene von Timofej Kuljabins Tschechow-Inszenierung «Iwanow» am Theater der Nationen in Moskau – und wirklich hilfreich, dass direkt mit Verklingen der letzten Silbe enthusiasmierte Zuschauer in Scharen mit kunstvollen Floralkreationen an die Rampe stürzen: ein echtes russisches Theater-Markenzeichen, das mit Grandezza die Frage aushebelt, warum ausgerechnet Moskaus Blumengeschäfte rund um die Uhr geöffnet haben und das Erste, was man nach der Ankunft am lokalen Flughafen zu Gesicht bekommt, ein stoisch vor sich hin rotierender Blumenstraußautomat ist. Ohne die Blumenobsession könnte man nämlich tatsächlich vergessen, dass man sich gerade in Moskau befindet und nicht etwa in Berlin an der Schaubühne. ...
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Theater heute Juni 2017
Rubrik: International, Seite 31
von Christine Wahl
Die Sowjetunion ist für Darja und mich in erster Linie die Familie.» Ungefähr nach vier Stunden spricht Niza Jaschi (Lisa Hagmeister) diesen Satz über sich und ihre Schwester (Franziska Hartmann). Ein zentraler Satz in Jette Steckels Uraufführungsinszenierung von Nino Haratischwilis «Das achte Leben (für Brilka)» am Hamburger Thalia – weil die Passage das narrative...
In der kalifornischen Wüste steht eine junge Frau und blickt zum eleganten, modernistischen Bungalow hinauf, der oben in den Felsen gebaut ist. Plötzlich explodiert das Gebäude. Aus immer neuen Perspektiven wiederholt sich diese Explosion, zuletzt als Detailstudie des Interieurs und in Zeitlupe. Den Kleiderschrank erwischt die Druckwelle von hinten: In grotesker...
Am Anfang ist schon alles am Ende. Und dieses Ende ist betörend ruhig, fast meditativ und unbedingt sehenswert. In rotes Licht getaucht liegen Menschen am Boden, zärtlich miteinander verwoben, zu leisen Gitarrenklängen in Streicheleinheiten vertieft. Nur eine scheint nicht ganz dazuzugehören: Die Ranjewskaja (Astrid Meyerfeldt), ehemals Hausherrin hier,...