Ein Himmelfahrtskommando
Die Sowjetunion ist für Darja und mich in erster Linie die Familie.» Ungefähr nach vier Stunden spricht Niza Jaschi (Lisa Hagmeister) diesen Satz über sich und ihre Schwester (Franziska Hartmann). Ein zentraler Satz in Jette Steckels Uraufführungsinszenierung von Nino Haratischwilis «Das achte Leben (für Brilka)» am Hamburger Thalia – weil die Passage das narrative Programm Haratischwilis auf den Punkt bringt, Familiengeschichte mit sowjetischer Geschichte parallel zu führen.
Und weil die Passage einen Bruch in der Inszenierung darstellt, indem sie Körper und Text auseinanderfallen lässt: Hagmeister und Hartmann sprechen, während sie Hula-Hoop-Reifen um ihre Hüften kreisen lassen. Die Schauspielerinnen sind angestrengt, sie konzentrieren sich darauf, dass die Reifen nicht zu Boden fallen, sie sprechen mechanisch. «Die Sowjetunion: Das sind unsere Freunde. Unsere Straßen. Unsere Höfe. Unsere Parks. Unsere Spiele. Unsere Vergangenheit. Und selbstverständlich unsere Zukunft», keucht Hagmeisters Niza. «Die Sowjetunion ist ein Privileg, das wir beide, Daria und ich, lange genug genießen, weil wir den Nachnamen unseres Großvaters tragen.»
«Das achte Leben (für Brilka)», im Herbst 2014 ...
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Theater heute Juni 2017
Rubrik: Aufführungen, Seite 18
von Falk Schreiber
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