Europäische Großbaustellen

Großbaustellen: Nicolas Stemann präsentiert Elfriede Jelineks «Wut» in den Münchner Kammerspielen, und Stephan Kimmig legt im Deutschen Theater Houellebecq aufs Krankenbett

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Ob Elfriede Jelinek eigentlich wütend ist? Gute Frage nach 120 Seiten eng bedrucktem «Wut»-Manuskript. Die Schauspielerin Zeynep Bozbay war sich auch nicht ganz sicher und hat vorsichtshalber bei der Autorin nachgefragt. Im Programmheftinterview stellt Jelinek dann klar, sie sei eigentlich immer wütend. Wut sei sogar ihr «Raketenantrieb», um überhaupt zu schreiben, um «eine Art gesellschaftlicher Frustration in eine Aggression des Schreibakts umzuwandeln». Wer so formuliert, hat zumindest seine Frustrationen gut im Griff.

 

Jelineks jüngster «Schreibakt» (der vollständige Abdruck liegt diesem Heft bei) ist zuallererst ein Kompendium diverser Wut-Ausbrüche mit mörderischem Ausgang von den Anschlägen auf «Charlie Hebdo» und den Pariser Supermarkt, über Dschihadisten-Sprüche und Gotteskrieger-Prediger bis zum Völkermord in Ruanda und dem Amoklauf des rasenden Herkules, dem die Göttin Hera die Sinne verwirrt hat. Eingestreut sind auch weniger gewalttätige Wut-Fälle wie Pegida, AfD, Shit­storms, aufrecht nationalistische Europäer und was sonst noch so an rumpeligen Populismen durch die Medien- und Internetkanäle sickert. Aber sind 120 Jelinek-Seiten über Wut auch 120 Seiten Wut?

 

Tieffl ...

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Theater heute Juni 2016
Rubrik: Aufführungen, Seite 12
von Franz Wille

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