Freundliche Übernahme
Der junge Mann ist wie aus dem Ei gepellt. Blütenweißer Anzug, einen Knopf zu weit geöffnetes Hemd, ein Hauch von Glanz am federnden Hosenbein. Die Zeiten der körperlichen Arbeit sind vorbei. Wo die türkischen Väter noch Paletten vom Großmarkt in den Gemüseladen schleppten, deklamieren die postmigrantischen Söhne zum spöttischen Zeitvertreib Kants «Kritik der reinen Vernunft» aus dem Reclamheft: «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – sapere aude!» Dazu gehört, dass man weiß, wo man herkommt.
«Bauer bleibt Bauer», feixt Taner Sahintürks Lopachin selbstbewusst. Später, als er den Kirschgarten der Ranjewskaja mit links ersteigert hat, entfährt ihm ob dieses Klassensiegs der Jubelschrei: «Das ist richtig geil!»
Ob Shermin Langhoff etwas Ähnliches gerufen hat, als ihr die Stadt Berlin die Intendanz des Maxim Gorki Theaters anbot? Die 1968 im türkischen Bursa geborene Tochter einer Gastarbeiterin bei der Nürnberger AEG brauchte nur wenige Jahre, um im bürgerlichen Theaterbetrieb eine rasante Karriere hinzulegen: 2003 kuratierte die damalige Regieassistentin und Filmproduzentin am Kreuzberger HAU die erste Ausgabe
des Festivals «Beyond Belonging», 2008 übernahm sie das ...
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Theater heute Januar 2014
Rubrik: Starts/Aufführungen, Seite 6
von Eva Behrendt
Eigentlich dürfte Martin Crimps «In der Republik des Glücks» gar nicht so schwer zu inszenieren sein, gerade wenn man von höherer Regiekunst mal absieht. Der erste Teil ist eine Fingerübung in schwarzer Komödie: Eine reizende Familie sagt sich beim trauten Weihnachtsessen so ziemlich alles, was sie noch nie von sich hören wollte. Was natürlich einen respektablen...
Auch nach diesem «Idiot» muss leider die Frage ungeklärt bleiben, ob Dostojewskij, in dessen großen Romantragödien sehr viel geredet wird, fürs Theater taugt. Er wird seit Castorf, der seinen Zyklus 1999 begann, viel gespielt, und es könnte sein, dass er ein verhinderter Dramatiker war, wie Vladimir Nabokov in allerdings gehässiger Absicht meinte. Es könnte aber...
Als wir zum Herbstanfang mit dem Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz und der Konzeptförderungsgutachterin Stefanie Wenner sprachen (vgl. TH 11/13), sah die Lage der Berliner Theaterszenen gar nicht mal unrosig aus: ein beschlossener Zuwachs des Berliner Kulturhaushalts um 4,3 Prozent in den kommenden beiden Jahren, 12,5 Millionen Euro «Investitionsgelder»...