Der Gedärmeforscher
Der Gedärmeforscher Eines Sommerabends vor sechs Jahren warteten eine Freundin und ich in einer Sparkassen-Filiale am Rosenthaler Platz auf einen freien Geldautomaten. Ein Typ mit wirren grauen Haarsträhnen und sackartig ausgebeultem, speckigem Anorak hatte schon ziemlich lange auf eins der Geräte eingeredet und hilflos an ihm herumlaboriert, als er schließlich kapitulierte und auf uns zu in Richtung Ausgang schlurfte.
«Herr Gotscheff», rief ich, überrascht, dass ich ihn von hinten für einen Obdachlosen gehalten hatte, «Guten Abend!»
Wir hatten uns wenige Wochen zuvor bei einem Recherchegespräch für ein «Theater heute»-Porträt kennengelernt. Er lächelte halb scheu, halb schelmisch und auf jeden Fall gut angetrunken unter seiner silbernen Strähnentolle hervor. Ein paar Minuten später saßen wir vor dem damaligen Imbiss «International», und Gotscheff philosophierte bei einem Piccolofläschchen Weißwein freimütig über Drogen, Castorf, den «Unsinn», Kritiker zu den chronisch uneingespielten Premieren einzuladen – und über die Prostituierte, der er gerade sein letztes Bargeld gegeben habe. Ob Wahrheit oder Pose: Er genoss sichtlich unsere halb (spieß-)bürgerliche, halb feministische ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute Dezember 2013
Rubrik: Abschied, Seite 34
von Eva Behrendt
Kaum zu glauben, dass Ödön von Horváth so etwas geschrieben haben soll: Sein Don Juan, der aus dem Ersten Weltkrieg kommt, verkörpert die einzige historische Konstante, nachdem Millionen tot sind, die alte Welt zerbrochen, der Kaiser abgedankt, das Geld nichts mehr wert ist. Nur die weiblichen Reflexe folgen noch der alten Kompassnadel. Alle Damen der Schöpfung...
Ladies first! In Hamburg startet Karin Beier, kurzzeitig vom Eisernen Vorhang gebremst, um das Deutsche Schauspielhaus aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Und in Berlin sammelt Shermin Langhoff am Gorki Theater alle Kräfte, um die zuletzt etwas verschlafene (Theater-)Hauptstadt aufzumischen!
Martin Crimp hat derzeit viel auf dem Kontinent zu tun. Gleich zwei...
Es gibt da nichts zu beschönigen. Schon das erste Drittel des letzten Säkulums hätte gereicht, um dem Titel «Jahrhundert der Katastrophen» traurige Ehre zu machen. Der französische Arzt und Skandalautor Louis-Ferdinand Céline war der erste, der das in seinem 1932 erschienenen Debutroman «Reise ans Ende der Nacht» schonungslos verkündete, mit einer Sprache, die wie...