Zwecke der Kunst
Selbstsicherheit klingt anders. «Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?», fragt Sivan Ben Yishai mit einem alten Roland-Barthes-Zitat im Untertitel ihrer «Bühnenbeschimpfung» und macht der moralischen Anstalt die Rechnung auf: die großen und kleinen Widersprüche zwischen den meist hehren Anliegen, die auf der Bühne verfochten werden, und den nicht immer ganz so hehren Kompromissen, die eine Institution verlangt, bei der man angestellt ist und meist auch bleiben will. Die kleinen oder größeren Abgründe zwischen Anspruch, Alltag und Kantine.
Die Behauptung größter künstlerischer Aufrichtigkeit und das Wissen, wann man besser trotzdem die Klappe hält. Die Rollen, die man eigentlich nicht spielen möchte und trotzdem annimmt, wenn es die Leitung wünscht. Dem zu folgen, was Sivan Ben Yishai ein «Skript» nennt, die oft nicht weiter ausgesprochenen, wenn auch gründlich verinnerlichten Regeln, Gos und No-Gos, denen man/frau besser folgt, wenn er/sie im Spiel bleiben will. Und die subtilen Mechanismen der Ausgrenzung, mit denen die Institution Theater diejenigen wieder abstößt, die sich nicht an diese Regeln halten. Plötzlich wird es einsamer in der Kantine, stiller am Handy, ...
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Theater heute Jahrbuch 2023
Rubrik: Höhepunkte der Spielzeit, Seite 114
von Franz Wille
Derzeit steht sie in Stuttgart in Shakespeares «Der Sturm» auf der Bühne: als Miranda, Tochter des Prospero, neben André Jung. Camille Dombrowsky, 26 Jahre alt, spielt Miranda als selbstbewusste, schlagfertige, emanzipierte junge Frau. Natürlich reißt sie dem heißbegehrten jungen Prinzen Ferdinand die Kleidung vom Leib – und nicht umgekehrt. Dombrowsky hat sich...
Wir muten uns dem Planeten, der Natur, allen anderen Lebewesen so gnadenlos zu, dass ein persönlicher Verzicht eigentlich gar keine Kategorie mehr sein kann. Wir greifen nach immer mehr, wollen immer mehr Macht in allen Bereichen. Wir richten uns in immer höheren Ansprüchen ein, deren minimale Reduzierung uns dann schon als Opfer erscheint. Wirklicher Verzicht...
In ihrem berühmten Essay «Anmerkungen zu Camp» schreibt Susan Sontag 1964, dass die wesentlichen Merkmale von «Camp» die Liebe zur Künstlichkeit, zum Artifiziellen und zur Übertreibung sind. «Camp» ist für Susan Sontag das Gefühl für eine bestimmte Ästhetik, etwas, das mit «kitschig» oder «affektiert» nur unzureichend zu übersetzen ist. Für Sontag ist «Camp» der...