Ulm: Alles außer Hochdeutsch
Albrecht Berblinger (1770–1829) war das Klischee eines schwäbischen Tüftlers: ein gelernter Schneider aus Ulm, der über Jahre hinweg eine «Flugmaschine» entwickelte, eigentlich ein Hängegleiter, der tatsächlich flugfähig war, bei einer öffentlichen Vorführung 1811 allerdings in die Donau stürzte und Berblinger dem Gespött der Bevölkerung preisgab. Der «Wir können alles außer Hochdeutsch»-Lokalpatriotismus mag Erfolgsgeschichten, Scheiternde aber sind für ihn Witzfiguren, die verachtet werden dürfen.
Immerhin, heute gilt der «Schneider von Ulm», der nach seinem Flugversuch in Armut fiel, als Visionär, zum 200. Geburtstag des verkannten Flugpioniers hat das Ulmer Theater ein Stück beim Berliner Dramatiker Ulf Schmidt in Auftrag gegeben, das Berblinger ehren soll. Schmidt aber, regelmäßiger Autor unter anderem bei Volker Lösch, unterläuft diese Erwartungen; «Berblinger, Schneider» ist alles andere als eine Feier des Tüftlertums, sondern ein böser Gedankenstrom, der Außenseitern und Ausgestoßenen eine Stimme verleiht, indem er den Blick auf den Außenseiter Berblinger schärft.
Das Setting sind die Vorbereitungen zum Jubiläum: Ein Heer von Servicekräften baut Stehtischchen auf, ein ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute Dezember 2019
Rubrik: Chronik, Seite 54
von Falk Schreiber
«Tut mir leid»: Das sind die ersten Worte in Alice Birchs «Anatomie eines Suizids». Clara (Julia Wieninger) hat versucht, sich umzubringen, und weil ihr Mann (Paul Herwig) das weniger mit Mitgefühl als mit Vorwürfen kommentiert, flüchtet sich Clara in die Entschuldigung. «Tut mir leid», der Satz wird noch mehrfach fallen, bei Claras Tochter Anna (Gala Othero...
Eine Erbauungsliteratin war Sibylle Berg ja noch nie. Aber gemessen an ihrem jüngsten Roman «GRM» – Untertitel: «Brainfuck» – nehmen sich ihre illusionsfrei vor sich hin sarkastelnden Theaterfiguren der letzten Jahre geradezu philanthropisch aus.
«GRM» spielt in einem düsteren Großbritannien nach dem Brexit und ist auch ansonsten eine Art Gesellschaftsreport aus...
Was bleibt von der flüchtigsten und der lebendigsten aller Kunstformen, dem Tanz, wenn die Bewegungen verschwunden und die Körper, die sie tanzten und formten, längst tot sind? Vereinzelte Dokumente, Briefe und Fotografien, Notizen und Kostümteile, die in Archiven leblos vor sich hin dämmern. Das Verhältnis von Tanz und Archiv beschäftigt nicht nur die...