Turnübungen am Begriff
Autor:innentheatertage? Allerdings – und zwar im allerweitesten Sinn, denn die Gastspielserie im Deutschen Theater hat den Autor:innenbegriff bewegungsgymnastisch gedehnt.
Da gab es im eingeladenen Programm deutschsprachiger Bühnen neben neuer Dramatik von Dea Loher oder Raphaela Bardutzky gleich zu Beginn eine Romandramatisierung von Lukas Bärfuss’ «Die Krume Brot», es folgten eine Tschechow-Überschreibung «Onkel Werner», eine Ensembletextentwicklung von Christopher Rüping und Team nach Motiven von Sophokles, «Ajax und der Schwan der Scham», ein hitschwerer Liederabend von Boys*in Sync oder auch eine stumme (!) Performance von Marie Schleef sehr frei und in schlafwandlerischer Langsamkeit ausgeführt nach dem Prosatext von Valeria Gordeev «Er putzt». Alles Autor:innen, keine Frage. Aber wer ist das nicht? Wer redet, schreibt, singt oder bewegt sich am Theater schließlich nicht durch den lieben langen Tag?
Nach der erfolgreichen Verflüssigung des eigentlichen Festivalinhalts wurde es doch noch konkreter. Den etwas engeren Anspruch der theaterstücktauglichen Autor:innenförderung muss im Deutschen Theater ohnehin die «Lange Nacht der Autor:innen» übernehmen: Vier knapp einstündige Werkstattinszenierungen von Texten, die in einer saisonlangen Residenz am Haus entstanden sind. In diesem Jahr sind eingeladen zu Schreibarbeit Josephine Witt, Guido Wertheimer, Miku Sophie Kühmel und fünf Schauspieler:innen des inklusiven RambaZamba Theaters – Moritz Höhne, Franziska Kleinert, Anil Merickan, Zora Schemm und Nele Winkler unter dem höhenflugtauglichen Titel «Herrlichkeit 1 und 2».
Zum «Fellwechsel» nach Island
Miku Sophie Kühmel, geboren 1992 in Gotha und nach zwei Romanen nun mit ihrem ersten Stück dabei, fühlt sich sehr zu Füchsen hingezogen, wovon sie im Video-Trailer ihres Projekts berichtet. Füchse gibt es sehr viele auf Island, wo sie kürzlich zu Gast war – mit textrelevanten Folgen. Denn auch Lui, eine Protagonistin von «Fellwechsel», verschlägt es im Rahmen eines Schüler:innenaustauschs für ein halbes Jahr dorthin. Dumm nur, dass deren beste Freundin Rina nicht mitkommen kann, denn sie darf dank ihrer besseren Noten ins sonnige Bogota verreisen. Das ob dieser Trennung bald einsetzende heftige Texting zwischen Kolumbien und der Eisinsel gerät aber schon bald ins Stocken, weil sich die 16-jährige Rina altersgemäß zunehmend für einen mög -lichen «boyfriend» interessiert. Die nordisch vereinsamte Lui erfindet daraufhin aus Angst vor Aufmerksamkeitsverlust kurzerhand von ihrem Island-Server aus einen zugewandten und körperlich aufgeschlossenen Arni zur bald auch intimeren Kommunikation. Die Sache fliegt auf, und die beiden bis dato besten Freundinnen enden getrennt.
Flankiert wird das bittersüße Mädchenbuch-Drama von einem kommentierenden Deutschlehrer, pubertätsbeschränkten männlichen Mitschülern sowie – zwecks isländischem Lokalkolorit – einem spitzohrigen Elf und einer sprechenden Füchs:in. Regisseur Andras Dömötör und sein Cast aus bewährten DT-Kräften wie Bernd Moss und altersgerechten DT-Jung-Spieler:innen pflegt dabei großzügigen Umgang mit Island-Klischees – bunte Häuschen, Trolle, Björk-Songs – und verhindern erfolg -reich, dass man das Stück ernster nimmt als man jemals sollte.
«Nach dem Hass» ist vor dem Theater
Deutlich gedanken- und schicksalsschwerer die beiden Stationen davor – zwei Gegenwartsszenarien in düster und heiter von Guido Wertheimer und Josephine Witt. Guido Wertheimers «Nach dem Hass» – die düstere Variante – beginnt in einem wilden Rave in einem Nazibunker in Humboldthain, von wo vier gleichgesinnte glücksuchende internationale Freund:innen auf Berlinbesuch sich nach einlässlicher Betrachtung einer toten Fledermaus auf den Weg nach oben machen. Sie wollen «die Ruinen der Vergangenheit hinter sich lassen und sich den Ruinen der Zukunft zuwenden». Beides gerät auf ihrem Berlin-Rundgang aber gründlich durcheinander, historische Tote wie Rosa Luxemburg mischen sich in die erträumte Gegenwart, Heiner Müllers «Germania»-Dramen grüßen von fern, allerdings bei Wertheimer weniger formstreng als wortreich. Auf dem Weg wird auch ein rechtsradikales, deutschnationales «Monster» erschossen; Mord- und Totschlag sind unter den linken Freund:innen augenscheinlich kein größeres Problem.
Zwischendurch tritt als eine Art Reiseleiter auch ein reichlich endzeitlich gestimmter Engel (der Geschichte?) in Aktion, der etwas ziellos raunende Bedeutung verbreitet. Komi Togbonou spricht ihn mit donnernd-knurrigem Pathos von einer Beleuchtungsbrücke, während auf der Bühne der Kammerspiele sich ranzige Europaletten und anderer Müll sammeln (Szenische Einrichtung Guido Wertheimer). Schließlich erreichen die vier die schwer allegorische, erlösende Ruine des Deutschen Theaters, ein Motiv aus Sivan Ben Yishais «Bühnenbeschimpfung», wo sie eine erlösende Zauberin erwartet, die vage von Angstfreiheit und Liebe redet. Ende einer mehrstimmig mäandernden Suada.
Deutscher Wind und dtschs Wetter
Deutlich konzentrierter und fokussierter dann auf der Hinterbühne des Deutschen Theaters Josephine Witts «dtschlnd, deine Jahreszeiten». Das auf seine harten Konsonanten reduzierte Land wird von einem allegorischen Mutter/Tochter-Paar – Mutter Natur und «Tochter Neujahr» – durch die Jahreszeiten geleitet unter tätiger Mithilfe eines Landfrauen-Chors, der hochironischen Märchenton beisteuert. Eine Kinderpuppe wird zwischendurch auch geboren, die allerding im heißen Sommer fast im heißen Auto wegschmilzt und schließlich im Herbst vom Sturm weggeblasen wird. Aber Leben und Tod sind wie Wind und Wetter in Witts keineswegs naturmythischem Ambiente, denn die vier Jahreszeiten bieten jeweils guten Anlass zum Andocken von Gegenwartsproblemen. Blumenkonsumwahn im Frühling; Klimakatastrophe und triefende Lan -geweile im Sommer mit Reminiszenzen an die asphaltverklebte Letzte Generation; diverse politische Stürme im (deutschen) Herbst mit leider etwas diffusen Anklängen an Terror, RAF und dem Mord an Hanns Martin Schleyer; schließlich eine raumgreifende sozialdramatische Wutrede der Mutter an die ignorante bürgerliche Mittelschicht in ihrem zukunftsblinden Wohlstandsweltschmerz für den Winter: eine Deutschland-Abrechnung von Herzen.
Lisa Birke Balzer als strenge Mutter und Mathilda Switala (großäugi -ge Tochter) führen souverän durch den thematischen Problemfeldacker, dem ein sechsköpfiger schürzenbeschwingter Chor mit oder ohne Jäger -hütchen den doppelbödigen Parabelrahmen setzt. Um Felix Loyckes Schaumstoff-Kinderpuppe muss auch nach ihrem traurigen Ende niemand weinen, und Regisseur Florian Hein sorgt für zügige Szenenprozessionen. Am Ende gelingt zwar nicht die Flucht in den rettenden Süden, und der große Wintersturm droht, aber da ist das Stück auch schon vorbei. Um alles Weitere muss sich dann die bürgerliche Mittelschicht im Publikum kümmern.
Im siebten Pommes-Himmel
Den nötigen Funken Zukunftshoffnung setzen die Autor:innen des RambaZamba-Theaters mit bewährten Ensemble-Stammkräften wie Uli Matthes, Almut Zilcher und Peter René Lüdicke: «Die Texte wurden mit dem Vorlauf einiger Tage oder spontan erdacht, daraufhin direkt in Schriftform diktiert und durch das gemeinsame Lesen lektoriert.» Die so entstandenen Beiträge von Moritz Höhne, Franziska Kleinert, Anil Merickan, Zora Schemm und Nele Winkler kreisen um ihre unmittel -baren Alltags- und Theatererfahrungen. Den Anfang macht Franziska Kleinerts herzwärmende Liebeserklärung ans Publikum – «Du bist meine Sauna» –, von Ulrich Matthes mit sich hochschraubend kindlicher Begeisterung ins Parkett gelesen. Einen ersten Höhepunkt markiert dann gleich darauf sein seitenlanges «Pommes»-Halleluja: der siebte Himmel der kulinarischen Ekstase.
Nach der Lesung folgt ein spielerischer Teil, in dem erst ein Kolonial -herr seines Tropenhelms verlustig geht, bis die ganze Mannschaft unter hausgemachter Musikbegleitung einen großen Heißluftballon entert und davonschwebt. Auf dem Weg dahin bleibt viel Raum für Sonne, Mond und Sterne, nette und nicht so nette Leute, die Freunde im Himmel, Religion und Zuhause oder die Liebe zum Kino. Man könnte einwenden, dass das inklusive Theaterprojekt zumindest dem Anschein nach den älteren DT-Ensemblerecken am meisten Spaß bereitet hat, aber eine Portion erwachsener Kinderglauben an Gegenwart und Zukunft war gerade am einzigen Aufführungsabend durchaus angebracht. Ein paar Stunden später hat Donald Trump den Iran bombardiert: Ende der Verflüssigung.
Theater heute August-September 2025
Rubrik: Festivals, Seite 14
von Franz Wille
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