Reis für die Welt!

Marie Zimmermann geht mit dem Festival «Theater der Welt» in Stuttgart vor Anker – über neuseeländische Begrüßungen, ungarische Sittengemälde, Zuschauer in Betten, Noras kleines Puppenhaus, Theater ohne Schauspieler und die essbarste Statistik der Welt

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Wer zur Begrüßung auf Blütenkränze und Hula-Mädchen gehofft hatte, wurde enttäuscht. Stattdessen hat sich ein finsteres Empfangskomitee vor der Bühne des Stuttgarter Theaterhauses aufgebaut. Gut ein Dutzend streng dreinschauende Polynesier in Smoking und Abendkleid fixieren zehn Minuten lang das Publikum, so als wolle man gleich einmal klarstellen, dass Südsee-Klischees hier keine Chance haben.

«Paradise», so heißt die Produktion der südpazifischen Tanz-Theater-Truppe MAU mit Sitz in Neuseeland, die das Programm des diesjährigen «Theater der Welt»-Festivals sozusagen vom entlegensten Punkt aus eröffnet – und natürlich ist das Paradies, das hier beschworen wird, ein längst verlorenes, geschändet durch Krieg, Kolonisation und die Atomversuche der Westmächte bis weit in die neunziger Jahre hinein. Doch Lemi Ponifasio, der aus West-Samoa stammende Begründer und Leiter der Gruppe, zielt nicht in erster Linie auf eine politische Abrechnung mit den Besatzern. MAU bedeutet auf Samoanisch «Visionen» und ist zugleich der Name der Befreiungsbewegung, die Western Samoa 1962 nach kurzer deutscher und längerer neuseeländischer Herrschaft als erstem Inselstaat der Südsee zur Unabhängigkeit ...

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Theater heute August/September 2005
Rubrik: Festivals Theater der Welt, Seite 4
von Silvia Stammen

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