Karusselle der Macht

Mathias Spaan untersucht Heinrich von Kleists Lustspiel «Der zerbrochne Krug» am Münchner Volkstheater, und Nora Schlocker lässt das Publikum über Friedrich Schillers «Maria Stuart» am Residenztheater entscheiden

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Zum Ende der Spielzeit noch einmal großes Kanon-Aufgebot in München, jeweils fast ohne aufdringliche Aktualisierung, dafür aber mit einem konzeptionellen Frische-Kick. Am Residenztheater hat Nora Schlocker für Schillers Königinnen-Duell «Maria Stuart» eine ungewöhnliche Besetzungslotterie vorgesehen: Per Zuruf entscheidet zu Beginn jeder Aufführung eine zufällig bestimmte Person aus dem Publikum, ob an diesem Abend Pia Händler oder Lisa Stiegler in der Titelrolle sterben wird. Jeweils die andere darf entsprechend als Elisabeth triumphieren.

Dagegen wird am Volkstheater in Kleists Lustspiel «Der zerbrochne Krug» der Schuldige klassisch ermittelt. Dafür deklariert Regisseur Mathias Spaan mit Hilfe einer provisorisch eingezogenen Dokumentarfilm-Ebene die aufzuklärenden Ereignisse als Rückblende und die Wahrheit als Konstrukt der Macht.

Hätte es schon damals Donald Trumps Definition alternativer Fakten gegeben, wäre Kleists Dorfrichter Adam wahrscheinlich zu einem glühenden Verfechter geworden, um seine Unschuld allem Anschein zum Trotz weiter zu behaupten. Ein Musterbeispiel schweren sexualisierten Machtmissbrauchs im Amt ist er sowieso, und im Grunde kann Kleists ödipales Lustspiel ...

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Theater heute Juli 2024
Rubrik: Aufführungen, Seite 15
von Silvia Stammen

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