Is’ halt langweilig
Herzlich willkommen in meiner Kolumne. Schön, dass Sie es in den zweiten Satz geschafft haben. Ich war mir bei dem Titel nämlich wirklich nicht sicher. Meinen inneren Zweifeln und verantwortungsbewussten Ansprüchen zum Trotz wollte ich ihn aber unbedingt stehen lassen. Denn in ihm spiegelt sich die Quintessenz dieser Kolumne. Warten Sie ab.
Im Dezember hörte ich Sibylle Berg in ihrer «Adventskalenderüberraschungseinheit» auf «nachtkritik.de» sagen, sie wünsche sich mehr Quatsch im Theater.
Im Moment seien viele Theater sehr «kritisch, politisch, ernsthaft, staatstragend, moralisch», dementgegen vermisse die Zürcher Autorin Pfauenfedern, Drecksparaden und Freitreppen. Natürlich möchte ich staatstragender Ernsthaftigkeit nicht ihre Berechtigung absprechen, aber bei Quatsch halte auch ich gerade mein höchstes Bewertungskärtchen hoch, und wer mich kennt, weiß: Sind Pfauenfedern im Spiel, bin ich eh dabei. Quatsch muss ja nicht bekömmlicher Euphemismus sein. Blödsinn ist in seiner wirkungsästhetischen Kraft nicht zu unterschätzen. Wir brauchen ihn. Nicht nur, aber auch. Außerdem schließen sich Humor und gesellschaftspolitisch relevante Inhalte ja nicht aus. Momentan scheint sich ein gewisser Zwang zur politischen Äußerung durchzusetzen. Das Theater betont geradezu angestrengt, dass es politisch denkt, um Nachhaltigkeit bemüht ist, paritätische Arbeitsverhältnisse schaffen, gerechtere Gagen zahlen und für Frieden einstehen will. Und, of course, FCK AfD.
Prima, dann sind wir uns doch im Wesentlichen einig und können zur Tat schreiten! Beleben wir die Bühnen mit dem unbändigen Eifer unserer Leidenschaften! Machen wir geile Kunst! Krachen lassen, Stimulanz und Emotionen, mutige Gedanken denk, Theater, reingehauen, du Lump! Denn ich bin immer noch nicht sicher, ob das Theater so ohne Weiteres überleben wird. Sagen die Leute ja immer: Das Theater wird schon nicht sterben. Aber ich sehe den demografischen Wandel da schon den ergrauten Teil des Publikums wegschwemmen und die Jugend in geilere Medien abwandern.
Aw nä, shit shit shit!
Was genau soll aber falsch sein am rechtschaffen politisierten Theater? Ich würde sagen: Es is’ halt langweilig. Weil es sich wiederholt. Die Mühlen der Meinungsproduktion sind längst normalisiert. Was wir morgens schon beim Scrollen durch Social Media oder beim Blättern durch die Zeitung aufnehmen, diskutieren wir dann in der Mittagspause erregt mit dem Kollegium (auch wenn wir derselben Meinung sind), gehen es in der Schlange an der Supermarktkasse dann nochmal gründlich im eigenen Kopf durch und lassen es uns vom Theater am Abend schließlich nochmal Schwarz auf Weiß geben. Bitte, danke, find ich auch, hab ich ja gesagt, und tue ich morgen auch gerne wieder in einem öffentlichen Forum kund, auch wenn ich mich gar nicht so gut auskenne, aber ich habe das Gefühl, ich muss, sonst nimmt man mich nicht ernst. – Und mir geht es ja auch so, wenn ich stundenlang hin- und herüberlege, ob ich eine unterhaltsame Kolumne schreiben darf oder ihr doch besser eine politisch tragfähige Botschaft injizieren sollte. Was weiß ich denn, ich denke, es ist ein Irrtum, anzunehmen, ernste Zeiten verlangten nur nach ernsten Worten. Wir müssen auch Spaß haben, Leute, es hilft ja alles nichts.
Während sich manche auf X und Insta argumentativ derart ins Zeug legen, als gälte es, einen Wettkampf zu bestreiten, navigiere ich mich stumm durch die Bauernblockade in Schlüttsiel, lese den Wikipedia-Artikel über die schleswig-holsteinische Landvolkbewegung, ärgere mich, dass die «ZEIT»-Recherche über die AfD-nahe Akkordeonistin, die Habeck bei einer Tasse Ostfriesentee auf der Fähre nach Hallig Hooge Informationen über seine Abreise abrang, kein Theaterstück von mir ist, sondern wirklich passiert, und denke, «aw nä, shit shit shit». Und weil ich mitteilungsbedürftig bin, schicke ich diese fünf Worte und den Link zur Blockade direkt an eine Freundin, damit die über meine differenzierten Gedanken zur Angelegenheit in Kenntnis gesetzt ist. Sie kontert mit ihrem Lieblingsbauernhof-Meme, und dann haben wir die Sache auch erstmal wieder vom Tisch. Ist ja jetzt eh auch schon wieder zwei Monate her.
Inzwischen gibt es aktuellere Ereignisse, die wir lieber in der Fiktion gesehen hätten. Um die muss sich auch jemand kümmern, fällt mir ein. Also werde ich mich gleich wieder dem Entwurf zu meinem neuen Stück «to my little boy» widmen, das von der Auflösung der totalen Überforderung mit dieser Welt im Schaumbad sehr privater guilty pleasures handelt. Und während ich schreibe, warte ich darauf, dass endlich Informationen über das künstlerische Geheimtreffen geleakt werden, bei dem die Verwandlung des Theaters in einen extrem geilen Ort der Gegenwartskunst vorbereitet wird. Mit glitzernden Freitreppen, Pfauenfedern und dreckigen Schlammschlachten, mit Junk, von dem Trash TV nur träumen kann, und Relevanz, wo wir sie nicht vermutet hätten. Falls ein solches Treffen noch nicht stattgefunden haben sollte, bitte direct message an mich: Let’s do it!
CAREN JESS ist Autorin und Dramatikerin, die 2021 und 2023 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen war. Im Februar hatten ihre Stücke «Dem Marder die Taube» am Badischen Staatstheater Karlsruhe und «Das Stillleben» im Theater Winkelwiese Zürich Premiere. Sie lebt in Dresden.

Theater heute März 2024
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Caren Jeß
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