Gelebte Potenz

Wiederaufnahme: Reto Fingers «Haus am See» (U, Schauspielhaus, Kammerspiele) am 13.11.2013

Eine dramatische Figur muss nicht unbedingt liebenswerte Züge haben. Aber Robert Keller in Reto Fingers «Haus am See» ist durch und durch unangenehm. Nicht böse – das wäre etwas ganz anderes –, nein, unangenehm. Ein Fabrikant, der seinen Bruder Max als Buchhalter knechtet; der seine Frau demütigt und seiner Schwägerin nachstellt; der eine schwangere Geliebte verstoßen und, das überrascht angesichts dieser Mängelliste nicht mehr wirklich, der seine Eltern aus nichtigem Anlass erschlagen und im Garten verscharrt hat.

Dennoch reicht es nicht zum Schurken, denn Robert betreibt das Böse nicht systematisch genug, es unterläuft ihm eher. Es ist ihm gleichgültig. Und gleichgültig könnte auch Robert dem Theatergänger sein, wäre dieser nicht von jenem auf ein Geburtstagsfest ins «Haus am See» geladen, wo – ihrerseits ungeladen – Roberts voreheliche Tochter wie der Phönix aus der Asche aufsteigt und eine schaurige Wahrheit ans Morgenlicht bringt.

Das Stück «Haus am See» des Schweizers Reto Finger ist durchaus ein respektabler Beitrag zum beliebten Genre des Familienstücks mit Leiche(n) im Keller. Die Tatsache, dass Reto Finger seine Dialoge nicht in Fernsehspiel-Prosa, sondern in lakonische ...

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Theater heute Juli 2011
Rubrik: Chronik: Schauspielhaus Bochum, Seite 54
von Martin Krumbholz

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