Ethik der Probe
Vor kurzem durfte ich an einigen Proben und Filmaufnahmen von Peter Weiss’ «Die Ermittlung» in der Regie von RP Kahl teilhaben. Auf der Basis des Theaterstücks entsteht gerade ein Kinofilm, der in einem Bühnensetting geprobt und gedreht wurde, nicht aber auf Mitschnitten einer Aufführung mit öffentlichem Publikum beruht. Jedes der elf Oratorien, die den Text strukturieren, wurde dabei in einem Take, also ohne Unterbrechung, wenngleich aus acht Kameraperspektiven gedreht.
Weiss’ dokumentarisch fundierter, doch ästhetisierter Text von 1965 arbeitet sich bekanntlich am ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963–65) ab und traf mich, die ich ihn zuvor lediglich gelesen hatte, in seiner Inszenierung unerwartet heftig. Die Verkörperung durch Rainer Bock (als Richter), Bernhard Schütz (als Verteidiger) und Clemens Schick (als Ankläger) sowie u.a. Christiane Paul, Tom Wlaschiha, André Hennicke, Axel Moustache oder Andreas Pietschmann als Zeug:innen hatte fraglos eine Unausweichlichkeit, die sich bei der Lektüre allein nicht ergibt. Doch stellt sich mir die Frage, was darüber hinaus meine Erfahrung derart intensiv, mein Erleben derart politisch gemacht hat.
Neben den Zeugenaussagen, die in ...
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Theater heute November 2023
Rubrik: Magazin, Seite 71
von Joy Kristin Kalu
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In den Jahren des Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963–1965), des umfangreichsten und bedeutsamsten NS-Prozesses, der nach 1945 vor einem bundesdeutschen Gericht geführt wurde, erschien eine fünfbändige Dokumentensammlung des deutschpolnischen Historikers und Auschwitz-Überlebenden Joseph Wulf, die erstmals auf breiter Basis die Rolle von Intellektuellen und...
Mit bisher mehr als 200 Inszenierungen steht das melodramatische Kammerspiel «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» im Ranking der meistgespielten Fassbinderstücke ganz oben. Wenn heutzutage ein RWF-Drama auf den Spielplan findet, dann meist dieses; den Zusammenhang von Liebe und Kapital kriegt man eben selten so kompakt und anschaulich auf den Punkt gebracht wie...