Die verschleierte Diva
Wie hießen nochmal diese Schwebeteilchen in der Luft? Aurosole? Oder das, was die Schweden gegen das Virus gemacht haben? Hordenimmunität? Fast so fern, wie mancher Fachbegriff aus der Lockdownzeit vielen Menschen scheinen mag, wirkt bereits die letztjährige Relevanz-Panik zum postpandemischen «Publikumsschwund». Von der befürchteten Herdenimmunität gegenüber Kulturangeboten, die 2022 die Schlagzeilen bestimmte, ist 2023 kaum etwas übrig.
«Der Deutsche Bühnenverein meldet bundesweit eine Auslastung von wieder bis zu 80 Prozent», steht jetzt genau dort geschrieben, wo es im Vorjahr noch hieß: «Theater, Orchester und Oper stecken in der größten Krise seit 1945. Ein Blick auf die Realität reicht, um zu verstehen, dass viele Häuser den Überlebenskampf kaum noch gewinnen können, wenn nicht ein Wunder passiert.»
Diese Gegenüberstellung einer aktuellen Theaterumfrage zu einem typischen Feuilletonartikel der unmittelbaren Post-Covid-Zeit zeigt vor allem eins: Die raunenden Propheten eines Epochenbruchs lagen alle falsch. Dass viele Menschen nach der langen Angst- und Sorgezeit einer unsichtbaren Ansteckungskrankheit nicht in die öffentlichen Räume zurückströmten wie Herden in den Stall, ...
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Theater heute Jahrbuch 2023
Rubrik: Knappheit - alles auf Kante, Seite 18
von Till Briegleb
Gleich zu Beginn des Jahrtausends hat BP folgende rhetorische Frage mit 250 Millionen Werbeetat ins Rennen geschickt: Sollten wir nicht alle individuell was ändern müssen? Wir, die Konsum-Mäuse, anstelle der großen Player. Ab 2001 jedenfalls konnte maus auf der BP-Website nachrechnen, was für einen Fußabdruck sie täglich hinterließ. So ein Käse! Die großen...
Es geht um viele erste Male in Leonie Lorena Wyss’ Stück «Blaupause»: die erste Menstruation. Die erste Zigarette. Die erste Masturbation. Das erste Mal in einem Film sehen, wie sich zwei Frauen küssen, und das erste Mal die Farbe Blau entdecken. Und fast ganz am Ende, da geht es darum, das erste Mal laut einen Satz auszusprechen: «Ich habe eine Freundin.» Bis zu...
Die Gier nach Leben, die Gier nach Liebe, Selbstzerstörung, sich einer Welt des Sanften und des Gewaltvollen auszusetzen, der Wärme und der Kälte – Sarah Kanes «Gier» umkreist in vielen Stimmen eine Leerstelle: das Ich. In Christopher Rüpings Zürcher Inszenierung repräsentiert die Projektion von Wiebke Mollenhauers Gesicht diese Leerstelle und verschiebt sie auf...