Chemnitz: Überwältigungs­theater

nach Michail Bulgakow «Meister und Margarita»

Alles fließt, manchmal schwebt es, aber immer greift alles nahtlos ineinander in diesem Abend im Chemnitzer Schauspielhaus. «Meister und Margarita» in einer meist sehr stringenten Fassung von Regisseur Malte Kreutzfeldt, der eine an den Titel angelehnte klare Zweiteilung des Abends vornimmt. Die ersten 80 Minuten bis zur Pause sind dem namenlosen Meister (Andreas Manz-Kozár) gewidmet.

Der sitzt in seinem Anstaltszimmer am linken Bühnenrand und tippt beharrlich auf seiner Schreibmaschine, während die Handlung seines entstehenden Romans um Pontius Pilatus (Susanne Stein) und Jeshua (Marko Bullak) auf der Bühne Gestalt animmt. Er schreibt und schreibt, und selbst in Abwesenheit schreibt sein projizierter Schatten weiter an diesem Roman, der dann von den offiziellen Stellen doch nur schlecht gemacht wird. Ein alter Meister im selbst gewählten Exil, die Parallelen zur Biografie Bulgakovs, der statt in der Gummizelle als Librettist und Dramaturg in Theatern seinen Rückzugsraum gefunden hat, ist offensichtlich. 

Für melancholische Wehmut ist aber keine Zeit, und so montiert Kreutzfeldt einen äußerst bildstarken Hauptstrang dagegen, nämlich die Auftritte des mephistophelischen Voland, ...

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Theater heute Mai 2018
Rubrik: Chronik, Seite 56
von Torben Ibs

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