Bookmarks des Lebens
Für Maya Stein
Wie Musik, wie Geschmäcker, wie Gerüche: Bücher sind Bookmarks. Einem Buch wiederzubegegnen, bedeutet vor allem, der Leserin wiederzubegegnen, die man einmal war. Ich bin immer noch erstaunt über die 15 Jahre alte Sivan, die enthusiastisch mit J.D. Salinger mitgeht, zum Beispiel. Sie ist empathisch mit der Abscheu seiner Protagonisten vor ihren verlogenen, übertrieben geschminkten, geschwätzigen Ehefrauen; genau wie sie ist sie abgestoßen von der Dummheit dieser Frauen, ihrer Flachheit.
In ihrem Abituraufsatz schreibt sie: «Muriels Nagellack und ihre inhaltsleeren Telefongespräche repräsentieren für Salinger die lächerliche Seite des Menschseins.»
Bücher werden zu Lese-Zeichen. Sie beginnen, formlos, auf dem verzettelten, subjektiven Schreibtisch einer Autorin, dann werden sie lektoriert, gedruckt, einsortiert und klassifiziert, von Agenten, von Verlagen, von Kritikerinnen, die ihnen ihren «objektiven» Stempel aufdrücken, mit dem sie in unseren Regalen landen und unsere werden, nur um all dieser Etiketten wieder entledigt zu werden: Sie werden von unseren Fingern angefasst, werden unsere Begleiter, verbringen Jahrzehnte an unserer Seite. Sie sehen uns und werden ...
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Theater heute August/September 2020
Rubrik: Lektüresommer, Seite 58
von Sivan Ben Yishai
/ markiert eine unterbrechung
… markiert eine pause
– zeigt an, dass eine neue person spricht
*** markiert den beginn einer neuen szene, in der die besetzung neu gemischt werden kann
♫ kennzeichnet die folgende rede als gesang
im chor sprechen alle, mit der ausnahme der vorrednerin/nen
mindestens 4 spielerinnen
Figuren:
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
ICH
...
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Es ist ja eigentlich eine recht offensichtliche Tatsache, dass das kapitalistische System mit autonomen Heilerinnen, Magierinnen und Hexen ein Problem hat. Dazu reicht eine kurze (etwas zugespitzte, sorry – not sorry) statistische Hypothese: Statistisch betrachtet arbeiten nämlich vor allem heillos unterbezahlte Frauen in den frisch entdeckten relevanten...