Barbification oder Gestern macht Kasse

Kolumne: Was der Hollywood-Trend «IP» mit dem deutschsprachigen Theater zu tun hat

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Der vergangene Sommer hatte den Farbcode Pantone 219. Nicht nur wegen des pinken Kampnagel-Sommerfestival-Logos, sondern vor allem wegen «Barbie»: Greta Gerwigs Kinotriumph in pink dominierten Plakatwänden und Kino-Spielplänen spülte eine Milliarde in die Kassen des Spielzeugherstellers Mattel und war der vorläufige Höhepunkt einer schönen neuen Filmwelt, in der Hollywood seine Zukunft sieht.

«IP» – Intellectual Property heißt die neue Zauberformel, die Filmstudios euphorisiert.

Gemeint sind damit Stoffe, Spielzeugfi -guren oder künstlerische Werke, die bereits erfolgreich, also dem Publikum bekannt sind und die auf der Leinwand zu neuem Leben erweckt werden. Die «Pre-Awareness» für bekannte Stoffe oder Marken garantiert eine Grund-Aufmerksamkeit des potenziellen Publikums, das sich außerdem leichter am Nostalgieschopf packen als in unbekannte Welten entführen lässt: Sissi oder Lego-Steinchen versprechen Publikumsidentifikation und minimieren das finanzielle Risiko für die Producer vorab.

Die Hersteller der verfilmten Produkte wiederum verdienen ebenfalls an den Filmen beziehungsweise an der als Kunst getarnten Produkt-Werbung, für welche die potenzielle Kundschaft dann auch noch gerne zahlt. Eine Win-Win-Win-Situation. Das Ausmaß dieser Goldgräberstimmung zeigen nicht nur angekündigte Projekte wie Kinomeister Ridley Scotts Verfilmung des Kapitalismus-Klassikers Monopoly oder die angeblich über 45 Filme, die Mattel in der IP-Pipeline hat, darunter eine Verfilmung der Hot-Wheels-Spielzeugautos durch J.J. Abrams («Lost», «Star Wars»). Sondern das gesamte Filmjahr 2023, das geprägt war von Werken über Tetris, BlackBerry, (Nike) Air oder einen Kellogg’s Keks. Bei den Einspielergebnissen folgt nach «Barbie» «Der Super Mario Bros. Film», und überhaut befindet sich in den Jahres-Top-Ten mit Pixars «Elemental» nur ein Nicht-IP-Film – ebenso sind unter den 50 kommerziell erfolgreichsten Filmen aller Zeiten nur zwei Filme ohne IP-Merkmal («Avatar» und «Zoomania»).

Theater-Selbstmusealisierung
«So what?» dürften die meisten Markenfilm konsumierenden Menschen dazu sagen. Denn solange die Filme so gut besetzt und gemacht sind wie zum Beispiel die Verfilmung des Videospiels «The Last of Us» oder die des Pulitzer-Preis-Buchs «Oppenheimer» (ebenfalls beide aus 2023), schauen auch die Cineast:innen weiter zu, und das Feuilleton hat Themen. Nicht nur der «New Yorker» fand «Barbie» «brilliant, beautiful, and fun as hell». Was diese Barbification aber eben auch offenlegt, ist das rein ökonomische Konzerndenken hinter der Kunst. Das lehnt alles Neue, Experimentelle oder Avantgardistische von vornherein als Kassengift ab. Künstlerische Freiheit, wie sie angeblich auch Voraussetzung für Greta Gerwig und ihren Partner Noah Baumbach für «Barbie» waren, gibt es nur in Welten wie Barbies unkaputtbarem Plastikuniversum. Auteur-Cinema ok, aber bitte als IP.

Eine weitere und vielleicht viel drastischere Folge dieses profitablen Marken- und Stoffaufwärmens ist das Befeuern eines reaktionären Denkens. Denn wenn das Publikum nur noch mit Stoffen aus der Vergangenheit abgeholt und gebauchpinselt wird, verliert es auch die Lust aufs Neue und Unbekannte. Oder lehnt das Unberechenbare gleich ganz ab, weil dazu auch die Bereitschaft gehört, das eigene Koordinatensystem in Frage zu stellen und eine offene Haltung zur Welt zu haben.

Es gibt einen Grund, warum sich alle rechten Parteien in ihren kulturpolitischen Programmen auf Vergangenheit und Tradition beziehen. Und warum auch das deutsche Theater in seinem eigenen Überlebenskampf als relevantes Gegenwartsmedium die eigene Musealisierung befeuert. Die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins weist seit Jahren Schiller, Shakespeare und Goethe unter den Top Five der meistgespielten Autor:innen aus, Frauen fehlen meist ganz, außer Yasmina Reza hat gerade ein neues Stück geschrieben. Für junge Menschen unter 30, die nicht selbst im Theater arbeiten oder dort Verwandte haben und auch nicht mehr vom Theater gebildet werden wollen, spielt das Theater keine kulturelle Rolle mehr. Und der verbliebene Rest des bildungsbürgerlichen, kaufkräftigen Ü50-Publikums wird abgeholt mit IP-Theater: Romanbearbeitungen, Filmadaptionen und Überschreibungen bekannter Stücke. Also mit Stoff aus der Vergangenheit, der sich besser verkauft.

Gerade weil aber niemand – außer vielleicht Claus Peymann – mit der Rolle des Theaters als musealem Medium einverstanden ist, ist der Innovationsdruck groß. Dafür braucht es aber den Mut und die Gelassenheit, mit dem Publikum nach vorne und nicht immer nur zurück zu schauen. Was übrigens das Vergangene nicht ausschließt; auch die Avantgarde hat Neues immer durch Bezüge zum Alten und Kontextverlagerungen geschaffen, sich dabei aber radikal von der Geschichte losgesagt. So wie auch die momentan wirkungsmächtigste Auteur-Theatermacherin, die die ganze Power des Theaters als Gegenwartsmedium zeigt: Florentina Holzinger. Und die sogar mit Ophelia oder Apollon in ihren Stücktiteln im IP-Game mitspielt.

ANDRÁS SIEBOLD hat mehrere Jahre in der Bildenden Kunst und als Dramaturg für Theater und Oper gearbeitet. Seit 2013 leitet er das interdisziplinäre Internationale Sommerfestival auf Kampnagel, das u.a. Florentina Holzingers «Ophelia’s Got Talent» koproduziert hat.


Theater heute Dezember 2023
Rubrik: Magazin, Seite 71
von András Siebold

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