Augenhöhe oder Apokalypse

Wagnisse eingehen mit Hannah Arendt, James Baldwin und Tomasz Konicz

Theater heute - Logo

Eigentlich wollte ich Hannah Arendts umstrittenen Text «Reflections on Little Rock» von 1959 besprechen, mit dem sie sich gleich nach dem Erscheinen einige Kritik eingehandelt hatte. Sie sprach sich darin zwar eindeutig gegen Rassismus aus, machte aber eine Unterscheidung zwischen Gleichheit als politischem Recht, das durch die Verfassung gegeben sein müsse, und sozialer Diskriminierung als «berechtigter Praxis» – und hierfür wählte Arendt das Beispiel, an einem Ferienort als Jüdin auch gerne unter Juden sein zu wollen.

Sie kritisierte die Durchsetzung der Integration der ersten neun afroamerikanischen Schüler*innen an einer High School (Little Rock Nine) durch die Entsendung der Nationalgarde als zwanghaft, da die Eltern dadurch des Rechts auf Selbstbestimmung beraubt seien. Arendt, der Bildung als Privatsache und zweitrangig erschien, erhob auch Einwand dagegen, dass die Medien eine einzelne Schwarze Schülerin zur Ikone machten und fragte: «Sollen jetzt Kinder die Welt verbessern?» Greta wüsste die Antwort.

Arendts Beispiel des jüdischen Safer Space erinnerte mich dann aber daran, nochmals James Baldwins berührenden Essay-Briefband «The Fire Next Time» von 1963 zu lesen. Baldwin ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute August/September 2020
Rubrik: Lektüresommer, Seite 56
von Kevin Rittberger

Weitere Beiträge
Die Geisel des Systems

Nach dem Urteil im erneuten Schauprozess gegen Kirill Serebrennikov (siehe Th 5/18 und 12/18) wegen angeblicher Veruntreuung von Fördergeldern war zunächst die Erleichterung groß. Statt der vom Staatsanwalt geforderten sechs Jahre Lagerhaft für den Regisseur und Leiter des Moskauer Gogol Centers gab es nur drei Jahre auf Bewährung und 10.000 Euro Geldstrafe. Die...

Bilder, die bleiben

Vom 23. Juli an hätten die Olympischen Spiele in Tokyo stattgefunden. Wie so vieles andere auch wurden sie vorerst abgesagt. Hier drei Lektüre-Vorschläge für drei ganz verschiedene Reisen in das Land der aufgehenden Sonne.

Beginnen wir mit einem Buch, das mir sehr am Herzen liegt: die «Japanische Chronik» von Nicolas Bouvier. Ursprünglich wollte ich es als Podcast...

Tragödie der Hygiene

Man wird sich an solche Anblicke für eine Weile gewöhnen müssen: jede zweite Reihe leer, in den anderen jeder dritte Platz besetzt. Wenn sich erwartungshochgespannte Premierenzuschauerräume nicht zuletzt dank zahlreich anwesender schmallippiger Kritiker*innen für die Schauspieler*innen ohnehin anfühlen wie ein weit geöffneter Kühlschrank, dann kommt es jetzt noch...