Gegenkritik: Stephan Kimmig
Zu den wohlfeilsten Abwehrreflexen, die beim Ansehen eines künstlerischen Vortrags oder eben eines Theaterabends entstehen, gehört das Etikett: «krank». Warum? Weil «krank» eben nicht wir sind. Wir sind normal, und die da auf der Bühne sind krank. Man kann nur Vermutungen anstellen, warum diese Reflexe immer wieder so schnell greifen. Erzeugen die Figuren eine Nähe zum Zuschauer, die dieser nicht erträgt? Das wäre meine These. Und Nähe produziert Abwehr. Deshalb behauptet man, das kenne ich schon alles. Das ist doch nix Neues. Damit hält man sich Kellys Gedanken vom Leibe.
Denn Kellys Figuren sind uns näher, als mancher wahrhaben möchte. In unserer Aufführung probieren wir, die Figuren an den Zuschauer heranzuführen, sie mit dem Zuschauer bekannt zu machen. Die Schauspieler erzählen die Figuren, um sie später auch zu spielen; deshalb sitzen die Schauspieler am Anfang rum und erzählen von und durch sich, in einer Art, die Nähe voraussetzt, die nicht vorführt, sondern sich öffnet zum Zuschauer. Da wird kein Drama aus dem Boden gestampft. Das Drama kommt erst später. Wir finden es wichtig, mit Kelly zu untersuchen, ob wir nicht längst alle kaufsüchtig geworden sind, denn ab wann, ...
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