Angst(t)räume

Das Münchner Residenztheater eröffnet die Spielzeit mit Kleists «Das Erdbeben in Chili», präsentiert von Ulrich Rasche, und Schorsch Kameruns Konzertinstallation «M – eine Stadt sucht einen Mörder»

Die Welt ist eine Scheibe. Das ist nicht neu für den Raumregisseur Ulrich Rasche, der bei seinen monumentalen Laufmaschinen selten auf ein Drehmoment verzichtet.

Doch hier, in seiner jüngsten Bühnenaufbereitung von Heinrich von Kleists ungeheuerlicher Novelle «Das Erdbeben in Chili» für das Münchner Residenztheater, ist das eine doppelt sinnfällige Setzung, markiert die Erzählung doch selbst einen traumatischen Turning Point, ein Schlingern zwischen alter Ordnung und sozialer Utopie, ausgelöst durch eine Naturkatastrophe und endend – dann doch wieder – im tiefsten Abgrund zwischenmenschlicher Gewalt.

Anstelle der ursprünglich geplanten «Familie Schroffenstein» greift Rasche damit zu einem Kleist-Text, den er schon einmal (2015 am Konzerttheater Bern) durchaus ähnlich inszeniert hat und der gerade eine coronabedingte Konjunktur hat, weil er mit den gesellschaftlichen Verwerfungen einer Krisensituation spielt – sei damit nun das Erdbeben von 1647 im chilenischen Santiago oder das in Philosophie und Literatur ungleich präsentere 1755 in Lissabon oder die französische Re­vo­lution selbst mit ihren Erschütterungen auch für Deutschland und ganz Europa gemeint.

Die Geschichte von der ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute November 2020
Rubrik: Aufführungen, Seite 18
von Silvia Stammen

Weitere Beiträge
Sie wird bleiben!

Im Laufe der Jahre hatten wir bei Forced Entertainment das Glück, mit vielen großartigen Kuratoren und Programmgestaltern zusammenzuarbeiten, aber Fries temperamentvolle Liebe für den hohen politischen und ethischen Ernst der Kunst und ihre damit einhergehende Sensibilität für ihre menschlichen, emotionalen und schelmischen Fähigkeiten haben sie immer einzigartig...

Die Überflüssigen

Das britische Theater liegt immer noch brach. Seit inzwischen fast acht Monaten. Abgesehen von einer Handvoll sommerlicher Outdoor-Produktionen, Solo-Abenden und Mini-Projekten lief und läuft nichts, im Westend flattern verwitterte Poster der Stücke vom März.

Nach Regierungsankündigung eines finanziellen Kultur-Rettungspakets im Juli – ohnehin schon drei Monate zu...

Freie Szene: Neuer Brutplatz

Wenn der Hausbesitzer renoviert, ist das für die Mieter nicht unbedingt eine gute Nachricht. Es könnte teuer werden. Genau das ist dem Wiener Koproduktionshaus Brut passiert, das sich seinen Stammsitz, das Theater im Künstlerhaus, nicht mehr leisten kann. Schuld daran ist ironischerweise ein Kunstmäzen: der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner, mit seinem auf 1,8...