Vaslav Nijinsky
In der Nationalbibliothek von Paris suche ich Bildmaterial für eine Veröffentlichung über die Ballets Russes. Aus einer Plastikhülle nehme ich eine Fotografie von Vaslav Nijinsky, die den Tänzer im Kostüm von «Le Spectre de la rose» zeigt. Auf seinem Haupt befindet sich die berühmte mit Rosenblättern übersäte, von Léon Bakst erfundene Kopfbedeckung. Dieses Foto – von Auguste Bert 1911 aufgenommen – zeigt Nijinskys Gesicht so nah, dass sogar die Poren seiner Haut zu sehen sind. Sehr direkt und schamlos blickt er ins Objektiv, als wolle er die Betrachterin prüfen.
Die Stärke seines Ausdrucks, die Frische seines Gesichts – für einen Augenblick lösen sie in mir das makabre Gefühl aus, als wäre Nijinsky von den Toten auferstanden.
Dieses Bild besitzt jenes berühmte Doppelgesicht, das Roland Barthes in seinem Buch «Die helle Kammer» beschreibt. Auf der einen Seite sieht man auf dem Bildnis den bekannten St. Petersburger Tänzer in einer seiner größten Rollen, als eine Art Bestätigung seiner gepriesenen Qualität als Tänzer der Ballets Russes. Barthes nennt es «studium» und meint jenen Anteil am Bild, der ein kulturelles Wissen des Betrachters voraussetzt: Dies sei Nijinsky und kein anderer. ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von tanz? Loggen Sie sich hier ein

- Alle tanz-Artikel online lesen
- Zugang zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von tanz
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Ein Haus ist mächtig. Wie mächtig, zeigte jetzt das im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel. Zehn Jahre lang hat es der Architekt David Chipperfield geflickt. Im Herbst soll es aufgefüllt werden mit der Sammelwut unserer Vorfahren, die ihr Griechenland mit der Schaufel suchten und im von Napoleon eroberten Ägypten nach einer...
Ein Event ist «X-Event 2.6» gerade nicht. Vielmehr sind Annie Vigier, Frank Apertet und Co. im urbanen Raum gelandet wie vom anderen Stern. Sichtbar fremd. Leicht zu erkennen an ihren postmodern abstrahierten Mickey-Mouse-T-Shirts, erscheinen die Performer gratis und draußen als sanfte Irritation im und um den Bétonsalon, einen neuen Ort für zeitgenössische Kunst...
Alle kreativen Köpfe definieren sich gern als universelle Allround-Künstler, damit sie selbstbestimmt aus einem Warenkorb der Künste wählen können – mal Paella, mal Salat, mal ein Steak. Oder eben wie einst der Mimos in der Antike – mal Schauspiel, mal Tanz, mal Gesang. Kann man nicht mit allem brillieren, ohne gleich als Da Vinci, das Universalgenie, zu gelten?...