Vaslav Nijinsky
In der Nationalbibliothek von Paris suche ich Bildmaterial für eine Veröffentlichung über die Ballets Russes. Aus einer Plastikhülle nehme ich eine Fotografie von Vaslav Nijinsky, die den Tänzer im Kostüm von «Le Spectre de la rose» zeigt. Auf seinem Haupt befindet sich die berühmte mit Rosenblättern übersäte, von Léon Bakst erfundene Kopfbedeckung. Dieses Foto – von Auguste Bert 1911 aufgenommen – zeigt Nijinskys Gesicht so nah, dass sogar die Poren seiner Haut zu sehen sind. Sehr direkt und schamlos blickt er ins Objektiv, als wolle er die Betrachterin prüfen.
Die Stärke seines Ausdrucks, die Frische seines Gesichts – für einen Augenblick lösen sie in mir das makabre Gefühl aus, als wäre Nijinsky von den Toten auferstanden.
Dieses Bild besitzt jenes berühmte Doppelgesicht, das Roland Barthes in seinem Buch «Die helle Kammer» beschreibt. Auf der einen Seite sieht man auf dem Bildnis den bekannten St. Petersburger Tänzer in einer seiner größten Rollen, als eine Art Bestätigung seiner gepriesenen Qualität als Tänzer der Ballets Russes. Barthes nennt es «studium» und meint jenen Anteil am Bild, der ein kulturelles Wissen des Betrachters voraussetzt: Dies sei Nijinsky und kein anderer. ...
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Wären sie echt, dann wären sie eine echte Sensation: sekundenkurze Film-Clips des tanzenden Vaslav Nijinsky, circa 1912, entsprechend körnig, düster und verwaschen, für alle frei zugänglich auf YouTube. Unsere Autorin Annette von Wangenheim machte uns auf den Aufruhr im Netz aufmerksam. Sie nahm uns allerdings auch gleich die Hoffnung, dass hier tatsächlich einer...