Tanzen wie die Neuronen
Wolf Singer,
erzählt Ihnen William Forsythes Choreografie etwas über die Struktur unseres Wahrnehmens und Denkens? Ich denke schon. Charakteristisch ist in all seinen Inszenierungen die Parallelität der Ereignisse. Es passiert immer an vielen Orten gleichzeitig etwas, das sich selbst organisiert. Wenn man das Netzwerk der Bezüge anschaut – dazu braucht man allerdings eine Analyse, man müsste die Tänzer interviewen, um zu wissen, wann sie was machen –, dann wird deutlich, dass ein Geflecht entsteht wie im Gehirn auch.
Es gibt einerseits Wechselwirkungen zwischen direkten Nachbarn, daraus entsteht dann eine lokale Dynamik, die etwas initiiert. Zwei Tänzer sitzen zum Beispiel am Ende der Bühne und warten. Dann passiert etwas und triggert zum Beispiel bei einem Dritten in der Mitte der Bühne ein Verhalten, und wenn dieser in eine ganz bestimmte Phase seiner Bewegung kommt, singen die anderen zwei dazu. Das ist sehr weiträumig komponiert und hat viel Ähnlichkeit mit sozialen Systemen. Dort gibt es zahllose Verbindungen zwischen nächsten Nachbarn und Langstreckenverbindungen, wie z. B. Verwandte und Freunde, die am anderen Ende der Stadt wohnen, die man aber anrufen kann. Es gibt also ...
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In Monte Carlo geht es in den Berg hinein, ins Grimaldi-Forum tief unter den Mittelmeeresspiegel. Hier leitet Jean-Christophe Maillot seit 16 Jahren die Ballets de Monte Carlo. Seine Ballettversion von Gounods «Faust» 2007 gewann den Prix Benois de la Danse, im März 2007 entstand daraus sein Operndebüt am Staatstheater Wiesbaden. Gounod einmal vertanzt, einmal...
Heiner Müller, größter aller DDR-Dramatiker, ließ in seinem gewaltigen Textopus «Anatomie Titus Fall of Rome» – eine Überschreibung von Shakespeares Blut- und Rachedrama «Titus Andronicus» – das Volk im Vorhof des Palastes tanzen. Und schrieb dazu Sätze in bombastischen Lettern wie:
«AUS IHREN NETZEN SCHAUN DIE SPINNEN ZU EIN WENIG TANZEND IN DEM WELLENGANG MIT DEM...
«Ich entwickle mich langsam. Ich bin nicht jemand, der steil aufsteigt. Natürlich verfolge ich auch eine Ästhetik und eine Linie, die aber nicht trendig ist. Auf längere Sicht zeigt sie aber vielleicht eine Perspektive auf, die überleben kann.» So bescheiden klang der Schweizer vor vielen Jahren. Aber er behielt recht. Seit 1999 leitet der heute 49-Jährige das...