Menschen 3/2018

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Newcomer

Valentine Colasante

Sie hat Temperament, eine starke Präsenz, einen soliden und strukturierten Stil: Valentine Colasante, 28 Jahre alt und schon erstaunlich profiliert, ist neue Danseuse Étoile des Pariser Opernballetts. Ernannt wurde sie von Generaldirektor Stéphane Lissner und Ballettchefin Aurélie Dupont anlässlich einer «Don Quixote»-Aufführung in der Choreografie von Rudolf Nurejew. In der Hauptrolle der freiheitsliebenden und amüsierwilligen Kitri zeigt Colasante nicht nur ihr tänzerisches, sondern auch ihr komödiantisches Talent.

 

Ohnehin ist diese Partie gleichsam doppelgesichtig angelegt: technisch ungemein herausfordernd und zugleich mit weiblicher Raffinesse imprägniert. Dabei nicht zu übertreiben, verlangt viel Fingerspitzengefühl – schwieriges Terrain für eine junge Tänzerin. Aber seit Colasante 2012 im Rahmen des jährlichen Wettbewerbs um Beförderungen mit einer «Schwanensee»-Variation – ebenfalls in der Nurejew-Fassung – zur Ersten Solistin erhoben wurde, hat sie sich in der ganzen Breite des klassischen Fachs hervorgetan, nicht zuletzt dank starker Technik.  

Colasante stammt aus einer italienischen Künstlerfamilie, der Vater ist Pianist, von der Mutter erhielt sie den ersten Ballettunterricht. 1998 kam sie an die Schule der Pariser Oper, 2006 trat sie 17-jährig der Kompanie bei – und gefiel auf Anhieb vor allem in den Werken von Roland Petit. Weshalb es nicht Wunder nimmt, dass sie mit einem Ausschnitt aus Petits «Notre- Dame de Paris» 2009 den Aufstieg in den Rang einer Coryphée schaffte. Seitdem überzeugt die Ballerina in neoklassischen Werken wie George Balanchines «Palais de Cristal» (alias «Sinfonie in C») ebenso wie in den radikal rasanten Kreationen eines Wayne- McGregor oder den spiralförmigen Wirbeln von Anne Teresa De Keersmaekers «Rain».

Jüngst hat sich Valentine Colasante auch die Rolle der Auserwählten in Pina Bauschs «Le sacre du printemps» erobert – eine Partie, in der Entsetzen und Tragik verschmelzen und die sie mit nervös-dramatischer Gebärde interpretiert. Jenseits des Palais Garnier arbeitet Colasante mit «Les Italiens de l’Opéra de Paris» zusammen, einer Gruppe von Landsleuten, die ihr Kollege Alessio Carbone gegründet hat.

Rosita Boisseau

 

Nach Hannover

Marco Goecke

Das kann kein Zufall sein. Zur Jahrtausendwende hat Marco Goecke, seinerzeit noch Tänzer am Theater Hagen, beim «Choreografischen Wettbewerb» in Hannover seine erste eigene Arbeit vorgestellt. Knapp zwanzig Jahre nach «Loch» wird der gebürtige Wuppertaler am selben Ort Ballettdirektor. Laura Berman macht’s möglich. Zur Spielzeit 2019/20 übernimmt die Basler Operndirektorin die Intendanz der Staatsoper Hannover – und da kommt ihr ein «so starker und konsequenter Künstler» wie Goecke sehr gelegen, «der mit seiner prägnanten Bewegungssprache die Stimmung der heutigen Zeit abbildet».

Für Goecke wiederum ist es «ein großer Schritt, eine eigene Kompanie zu übernehmen» und in Hannover «ein Zuhause für meine Kunst» zu schaffen. Und das zum richtigen Zeitpunkt, nachdem der designierte Intendant des Stuttgarter Balletts seinen Vertrag nicht verlängert hat. Dabei wirkte Goecke, seit 2005 Hauschoreograf, stilbildend sowohl mit Einaktern à la «Äffi» als auch mit abendfüllenden Produktionen wie «Nussknacker» oder «Orlando» weit über Stadtgrenzen hinaus. Abgesichert als Associate Choreographer des Nederlands Dans Theater und weltweit erfolgreich als Schöpfer eines «Nijinski» für Gauthier Dance, hätte er freischaffend so weitermachen können. Doch zunächst fünf Jahre lang als Nachfolger von Jörg Mannes «junge Choreografen zu fördern und ein anspruchsvolles und variationsreiches Programm zusammenzustellen»: Das muss ihn gereizt haben. Nicht zuletzt im Hinblick auf seinen bisherigen Arbeitgeber.

Hartmut Regitz

 

Abschied

Noemi Lapzeson

Im Oktober war sie mit dem Schweizer «Grand Prix Tanz 2017», der höchsten nationalen Ehrung für Tanz, ausgezeichnet worden. Und nun ist Noemi Lapzeson nicht mehr unter uns. Die Grande Dame de la scène romande ist am 11. Januar in Genf gestorben. Mit 77 Jahren war sie zu jung, um von uns zu gehen – aber alt genug, um ein Vermächtnis zu hinterlassen. Noemi Lapzeson hat als charismatische Pädagogin Generationen von Schweizer Tanzschaffenden mit der Graham-Technik vertraut gemacht. Und sie war massgeblich am Aufbau der Westschweizer Szene beteiligt. Auf sie geht die Genfer Association pour la Danse Contemporaine (ADC) zurück, die Vorstellungen organisiert, Proberäume unterhält und eine Zeitschrift herausgibt.

Die 1940 in Buenos Aires Geborene wurde an der Juilliard School ausgebildet und tanzte bei Martha Graham, bevor sie 1967 als Solistin ans London Contemporary Dance Theatre weiterzog. 1980 kam Lapzeson nach Genf, arbeitete als Pädagogin u. a. beim Ballet du Grand Théâtre de Genève und unterrichtete ab 1987 nach eigenem Ansatz, den sie aus Graham-Technik und Yoga entwickelt hatte. Ab 1989 tourte sie mit ihrer Kompanie Vertical Danse, mit expressiven Stücken, häufig inspiriert von literarischen Texten. Den «Schweizer Tanzpreis» hat sie gleichsam zweimal bekommen, denn 2002 wurde ihr der erste Tanz- und Choreografiepreis der Stiftung Corymbo zugesprochen – Vorläufer der heutigen Auszeichnung.   

Lilo Weber

 

Nachruf

Elisabetta Terabust

kam in Varese zur Welt, doch war Rom zeitlebens ihre Heimat: Dort studierte sie unter der Cecchetti-Schülerin Attilia Radice, wurde 1966 Principal und später Primaballerina an der Oper. Quecksilbrig, expressiv und klar konturiert – umgehend wurde Erik Bruhn auf sie aufmerksam und brachte ihr jenen Bournonville-Stil bei, mit dem Terabust später an der Seite von Peter Schaufuss brillierte. Bald machte sie international Karriere, gehörte zu den Favoritinnen von Roland Petit und glänzte beim damaligen London Festival Ballet, neben Rudolf Nurejew, Mikhail Baryshnikov oder Patrice Bart.

Terabust war überdies eine leidenschaftliche Advokatin, wann immer es darum ging, die Entwicklung der Tanzkunst in Italien voranzutreiben. So trat sie etwa in den 1980er- und 1990er-Jahren in diversen Produktionen des noch jungen Aterballetto auf. Von ihrer traditionalistischen, dabei jedoch stets aufgeschlossenen Leitung profitierten späterhin vor allem die Kompanien der Mailänder Scala, der Opera di Roma, des Teatro San Carlo in Neapel sowie das Festival «Maggiodanza» in Florenz. Ihr wacher Blick für den Nachwuchs verhalf Talenten wie Massimo Murru oder Roberto Bolle zu steilen Karrieren. Warmherzig und augenzwinkernd-ladylike war Elisabetta Terabust eine Autorität, ohne je autoritär aufzutreten. Nach langer Krankheit ist sie am 5. Februar in ihrer römischen Wohnung am Campo dei Fiori gestorben. Sie wurde 71 Jahre alt.

Silvia Poletti

Aus dem Englischen von Marc Staudacher

 

Neustart

Christopher Roman

legt sein Amt als Künstlerischer Leiter des Ensembles Dance On am 7. April nieder. Die Entscheidung fällt pünktlich zum Berliner Festival der Kompanie am HAU, «Out of Now». Überraschend ist der Abgang nicht. An diesem Tag laufen die festen Verträge der sechs Tänzer, alle 40+, aus. Nach 27 Monaten steht eine neuerliche Finanzierung der Kompanie, u. a. durch den (erst spät konstituierten) Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags, noch aus. Gleichwohl ist die Initiatorin von Dance On, Madeline Ritter, zuversichtlich, dass dieses «künstlerische Exzellenzprojekt mit erfahrenen Tänzern» weiter finanziert wird, u. a. mit europäischen Mitteln. Zukunftspläne sehen unter dem Titel «Dance On, Pass On, Dream On» eine Zusammenarbeit etwa mit dem Tanzhaus Sadler’s Wells in London und dem «Holland Dance Festival» vor.

Christopher Roman, 48, betrieb bis 2015 die Abwicklung der Forsythe Company in seiner Wahlheimat Frankfurt/Main. Dorthin will er zurück, um «endlich eigene Projekte» als Tänzer und Choreograf realisieren zu können. Gastspiele mit älteren Stücken von Dance On seien von seiner Entscheidung nicht berührt. Auch andere Kompaniemitglieder sind in diversen Projekten unterwegs, so Ritter, die nun die Künstlerische Leitung selbst übernimmt. Man strebe jedoch offene Formen der Mitgestaltung durch das ganze Ensemble an. Alt genug dafür ist es ja.

Arnd Wesemann

 

Nach Madrid

Lucía Lacarra

Der Kreis schließt sich. Bei Víctor Ullate ist Lucía Lacarra einst in die Schule gegangen, ab nächster Spielzeit übernimmt die Ballerina aus dem Baskenland nun die Künstlerische Leitung des Víctor Ullate Ballet – Comunidad de Madrid: «Kein x-beliebiges Ensemble», wie sie selber sagt, sondern «meine erste Kompanie», d. h. der Ort, «an dem ich, gerade mal fünfzehn, als Tänzerin geboren wurde.»

Das ist natürlich schon eine ganze Weile her. Zwischenzeitlich hat Lucía Lacarra eine einzigartige Karriere hingelegt – erst am Ballet National de Marseille als späte Muse von Roland Petit, dann von 1997 an fünf Jahre lang als Principal Dancer beim San Francisco Ballet, schließlich als inoffizielle Primaballerina des Bayerischen Staatsballetts, dem sie erst 2016 nach dem Amtsantritt von Igor Zelensky den Rücken kehrte, um sich als Starballerina dem Ballett Dortmund anzuschließen. Dabei habe sie all die Erfahrungen gesammelt, die sie jetzt braucht, um der großen Aufgabe gewachsen zu sein: nämlich «das Erbe von Víctor Ullate zu schützen, zu bewahren und zu pflegen und zugleich das Ensemble auf neue Werke und Stile nationaler wie internationaler Choreografen vorzubereiten». Was nicht heißen muss, dass sich die 43-Jährige deshalb von der Bühne verabschiedet. Im Gegenteil: Lucía Lacarra will der eigenen Kompanie tanzend ein Beispiel geben und schätzt sich «glücklich, als Erste Solistin diese wunderbare Zusammenarbeit mit dem Ballett Dortmund fortsetzen zu können».

Hartmut Regitz

 

Snippets

Die Tänzerin Lisa Pavlov, seit Beginn der aktuellen Spielzeit Erste Solistin am Staatsballett Karlsruhe, ist am 19. Januar mit dem Young Star Ballet Award ausgezeichnet worden. Der durch eine private Zuschauer-initiative zur Unterstützung des Staatsballetts Karlsruhe ins Leben gerufene Preis wird seit 2015 verliehen und ist mit 5000 Euro dotiert.

Erstmals ist mit der GöteborgsOperans Danskompani ein ganzes Ensemble mit dem Swedish Theatre Critics› Association‘s Dance Prize 2107 ausgezeichnet worden. Die Preisverleihung findet am 3. März im Göteborger Opernhaus im Rahmen der Uraufführung von «S & S» mit neuen Kreationen von Sharon Eyal und Sang Jijia statt.

Der Leipziger Bewegungskunstpreis 2017 ist am 3. Februar der australischstämmigen Choreografin Melanie Lane für ihre Tanzperformance «Wonderwomen» verliehen worden, in der zwei Bodybuilderinnen in Szene gesetzt werden. Das Preisgeld beträgt 5000 Euro.

Die russischen Behörden haben die Betrugsvorwürfe gegen den Regisseur Kirill Serebrennikov bestätigt und die geforderte Schadenssumme von 68 auf 133 Millionen Rubel – also um umgerechnet knapp zwei Millionen Euro – erhöht. Außerdem wurde Serebrennikovs Hausarrest um weitere drei Monate bis zum 19. April verlängert.

Die künstlerische Leiterin der Heidelberger Dance Company, Nanine Linning, wird neue Tanzkuratorin der «Festspiele Ludwigshafen» 2018 und 2019. Sie folgt auf Honne Dohrmann, der das Ludwigshafener Festspielprogramm in den letzten beiden Jahren verantwortete.


Tanz März 2018
Rubrik: Menschen, Seite 32
von Red.

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