Kindheit ade

Das Stuttgarter Ballett hat sich einen «Nussknacker» von Edward Clug und Jürgen Rose zugelegt – so fantasievoll wie fantastisch. Gesehen hat ihn Hartmut Regitz

Hoffmann oder Dumas père, das ist hier die Frage. Marius Petipa hat gemeinsam mit seinem Theaterdirektor Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschki 1891 bekanntlich das Libretto zu einem «Nussknacker»-Ballett entworfen und sich dabei aber keineswegs auf das novellenhafte Märchen von E. T. A. Hoffmann bezogen, sondern auf eine Nacherzählung von Alexandre Dumas, die auch dem beauftragten Komponisten von Kindesbeinen an auf innige Weise vertraut war.

Peter Tschaikowsky, Sohn einer halbfranzösischen Mutter und von einer französischen Erzieherin angeleitet, las die «Histoire d’un cassenoisette» im Original. Diese wehmütige Erinnerung an unbeschwerte Jugendjahre prägt nicht zuletzt seine filigrane Musik, die weniger das sprunghaft Groteske der deutschen Vorlage betont, als sich auf den Klang einer verklärten Kindheit einzulassen, in der sich letztlich immer alles zum Guten wendet. Das Albtraumhafte, alles Verstörende, das sich in der Geschichte von «Nussknacker und Mausekönig» aus einer fiebrigen Armverletzung heraus erklärt, hellt sich in der Ballettversion unversehens wieder auf. Ganz so, wie es sich der französische Verfasser in seiner Vorrede wünscht. Anders als bei Hoffmann handelt es sich ...

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Tanz 1 2023
Rubrik: Produktionen, Seite 6
von Hartmut Regitz

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