In der Spur
Sie kennen das Haus aus dem Effeff. Gleiches gilt umgekehrt: Man geht keine zwei Schritte, ohne dass es aus irgendeiner Ecke «Oh Victoria!» schallt. Oder «Menschenskind – Julian!». Dabei ist es gut zwanzig Jahre her, dass sich Victoria Lahiguera und Julian Tonev von der Berliner Staatsoper verabschiedet und ihr eigenes Tanzstudio gegründet haben. An einem trüben Januarnachmittag kehren sie zurück in den Knobelsdorff-Bau, nehmen Platz im Parkett. Aus ganz besonderem Anlass.
Ein Mädchen kommt auf die Bühne gelaufen, flink fliegt der Kopf erst hierhin, dann dorthin.
Schon taucht er auf, der junge Mann, dem es entgegenfiebert: mit jeder Faser seines zarten, biegsamen Körpers und sehnsüchtigen Blicken, die wie Liebespfeile aus den dunklen Augen schießen. Keine zehn Sekunden, dann schmiegen sich beider Silhouetten aneinander. Bewegungen fließen zusammen, mit jedem Atemzug geht eine Liebkosung einher. Stürmisch und sachte zugleich. Wenn er sie hebt, malen sie ein gemeinsames Ausrufezeichen in die Luft. Wenn er seine Liebesschwüre in gewaltige Sprunghöhen schraubt, schmilzt sie dahin. Makellos entfaltet sie ihre Arabesques, sinkt zuletzt ins Penchée, um ihn zu küssen – den jungen Mann, der ...
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Tanz März 2022
Rubrik: Familie, Seite 56
von Dorion Weickmann
Die Rue de Montorgueil ist eine teilweise verkehrsberuhigte Einkaufsstraße im Zentrum von Paris. 1878 malte Claude Monet das bunte Treiben in der Gasse, die heute gesäumt ist von Feinkostläden, Restaurants und kleinen Boutiquen. Am Eingang der Straße steht ein Kastenwagen, Mathilde, eine junge Frau im Sommerkleid, steigt aus, in der Hand einen Ghettoblaster. Ein...
Bruno Bouché macht klare Ansagen. Ein «europäisches Ballett des 21. Jahrhunderts» will er definieren und erschaffen. Nichts Geringeres. Seit 2017 leitet der ehemalige Tänzer des Pariser Opéra-Ensembles die Geschicke des Ballet de l’Opéra national du Rhin, das in Mulhouse probt und gleichzeitig auf den Bühnen von Strasbourg und Colmar beheimatet ist. Bouchés...
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