Eine existenzielle Frage
Franz Wille: Herr Vornam, Sie haben die Einstiegsgage für künstlerisch Beschäftigte von der Mindestgage, die der Tarifvertrag vorsieht – 1850 Euro im Monat – auf deutlich erfreulichere 2300 Euro angehoben. Normalerweise sind Intendanten bei Gagenverhandlungen eher knausrig, woher diese Großzügigkeit?
Axel Vornam Ich habe noch nie die absolute Mindestgage bezahlt, weil man in prosperierenden Städten wie Heilbronn von 1850 Euro nicht mehr zumutbar leben kann: eine schlicht existenzielle Frage.
Die Mieten gehen deutlich nach oben wie in jeder Studentenstadt. Zum anderen fand ich es schon immer ungerecht, wenn man die Verhältnisse innerhalb des Hauses betrachtet. Ein Azubi bekommt laut dem Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TvöD) nach zweieinhalb oder drei Jahren Ausbildung 2500 brutto, und das ist dann einfach nicht mehr verhältnismäßig zu einem Dramaturgen, der vier, fünf, sechs Jahre studiert hat und mit 1850 Euro klarkommen soll. Und da man zunehmend das Gefühl bekommt, dass sich die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern ewig hinschleppen und auch das nur in kleinen Schritten, haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen.
FW: Gleichwohl muss man sich das leisten können.
Vornam: Wir stehen wirtschaftlich ganz gut da, aber ich weiß aus meiner Erfahrung in Rudolstadt, dass so ein Schritt in vielen anderen Städten äußerst schwierig wäre. Entweder müssten sich vielerorts die Kommunen wirklich daran beteiligen und eine höhere Finanzierung für die Theater beschließen, oder man lässt sich auf Haustarifverträge ein, die ich mittlerweile unappetitlich finde. Denn es sind dabei immer mehr oder weniger die künstlerisch Beschäftigten, die draufzahlen. Insofern haben wir uns entschieden: Wir haben ein tolles Betriebsergebnis, wir haben gut gearbeitet, also warum sollen wir das nicht machen?
FW: Um wie viele Verträge geht es, und was kostet das alles in allem?
Vornam: Es sind 12, 13 Fälle, darunter Schauspieler, Regieassistenten und alle, die unter den NV Bühne fallen, also auch beispielsweise Maskenbildnerinnen. Im Jahr kostet das ca. 55.000 Euro. Das ist eine Summe, die innerhalb des Etats absolut zu stemmen ist. Aber man muss es natürlich wollen und durchsetzen.
Wettbewerbsvorteil?
FW: Erhöht das nicht auch Ihre Chancen, wenn es darum geht, die talentiertesten Abgänger nach Heilbronn zu holen?
Vornam: Mag sein, aber ich denke, da zählen ganz andere Kriterien. Einerseits die Attraktivität der Stadt – das spielt bei jungen Absolventen eine immer stärkere Rolle. Wenn sie in Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg studiert haben, dann erwarten sie eine Szene, die dem entspricht. Der Anspruch an Lebensqualität außerhalb des Theaters ist mittlerweile enorm gewachsen. Das ist für kleine Städte oft schwierig.
FW: Die gute finanzielle Situation des Theaters hat auch mit einer gestiegenen Auslastung zu tun: Der Eigenfinanzierunganteil ist seit 2008 von 14,6 Prozent auf 22 Prozent gestiegen. Geht das auf Kosten des künstlerischen Anspruchs?
Vornam: Das Misstrauen höre ich oft – von wegen man mache dafür ein furchtbar populistisches Programm mit Schenkelklopfern. Dem ist aber nicht so. ...
FW: ... aber Sie haben auch «Charleys Tante» und «My Fair Lady» im Programm.
Vornam: «My Fair Lady» ist ein Gastspiel, keine Eigenproduktion, und in der letzten Spielzeit haben wir auf der Großen Bühne Philipp Löhles «Wir sind keine Barbaren» gemacht, Müller »Der Auftrag», Gorkis «Kinder der Sonne», Dea Lohers «Unschuld» oder Houellebecq. Das sind unsere Themensetzungen. Da ziehen die Zuschauer mit! Na klar gibts dann auch «Charleys Tante» oder eine Musicalproduktion für Schauspieler.
FW: Wie geht es mit den Anfängern denn weiter, wenn zwei Jahre vorüber sind?
Vornam: Unterschiedlich. Wir haben Absolventen, die sind fünf Jahre geblieben. Einer hat nach vier Jahren entschieden zu wechseln. Er hat sich toll entwickelt in der Zeit und ist dann ans Staatsschauspiel Hannover gegangen. Das ist völlig ok, so muss es auch sein. Wenn man als Absolvent irgendwo anfängt, muss man den Traum haben, in vier, fünf, sechs Jahren am Deutschen Theater in Berlin zu sein! Wenn’s anders kommt, kommt es anders, aber den Ehrgeiz sollte man haben. Auf der anderen Seite versuche ich jungen Absolventen auszureden, nach einem Jahr wieder zu gehen, was immer öfter vorkommt. Da spielen auch die vielen Schauspieler-Agenturen keine glückliche Rolle.
FW: Ändert sich da gerade etwas?
Vornam: Es werden junge Schauspieler über Agenturverträge und Filmversprechen geködert, was mit Theaterspielen und Repertoirevorstellungen schwer zusammengeht. Wenn dann die angepeilte Serie platzt, sitzen sie in Berlin herum, wo man ja auf sie gewartet hat, und sind billige Verfügungsmasse für kurze Drehtermine. Sie sind dann fürs Theater verloren, aber im Beruf noch gar nicht angekommen. Man braucht ja erstmal nach der Ausbildung ein paar Jahre Erfahrung, um sein Handwerk zu entfalten. Das finde ich schon eine sehr schwierige Entwicklung.
Theater heute Juli 2017
Rubrik: Editorial, Seite 1
von Franz Wille
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