biarritz: nocturnes, estro
Und plötzlich wird er melancholisch? Ausgerechnet Thierry Malandain, der sonst so kecke, freche, mit sinnlich-erotischer Inspiration spielende Erneuerer stellt im Zweiteiler «Nocturnes» und «Estro» Weltschmerz und die Beziehung zum Tod in den Mittelpunkt. Die beiden neuen Stücke verbreiten keine Jubelstimmung, sind vielmehr durchdrungen von Romantik und Jugenderinnerungen. Chopins «Nocturnes» treffen auf Vivaldis «L’Estro armonico», angereichert mit Passagen aus seinem «Stabat Mater».
Beginn mit Chopin, in nächtlicher Stimmung.
Ein Mondstrahl zerschneidet das Dunkel, durch diese Schneise schiebt sich eine Prozession Vertriebener des Tages, in ausgeblichene Erdtöne gekleidet. So schlägt Malandain den Bogen zu mittelalterlichen Totentänzen, denen er auf Wandmalereien begegnete. Ein solches Bild lässt er nun plastische Gestalt annehmen und versetzt es in Bewegung. Dieses lebendige Relief besteht mal ganz aus Frauen im Unisono, mal scheint ein Paar sich trennen zu müssen.
Tragik liegt in der Luft. Hier mag die Pest ihren Tribut fordern, der Krieg oder die Emigration. Körper und Seelen bleiben durch die Liebe zum Leben verbunden. Hebefiguren, Développés und Fouettés fließen in ...
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Tanz Juni 2015
Rubrik: kalender und kritik, Seite 50
von Thomas Hahn
Neun Jahre alt ist der Knirps, der da im leeren Studio des New York City Ballet Klavier übt. Ein ziemlich alter Herr kommt hereingeschneit, scheint allerdings gar keine Notiz von ihm zu nehmen. Abends begegnen die beiden einander wieder, beobachten gemeinsam eine Vorstellung aus der Seitengasse der Bühne. «Spiel unbedingt weiter Klavier!», wispert der Mann dem...
Ein Albtraum. Oder was? Als ob er das Kommende ahnte, wälzt sich Josef K., d. h. Flavio Salamanka, auf seinem Lager. Unruhig ist sein Schlaf. Wiederholt bäumt sich sein Körper auf, schlotternd vor Angst, während die Musik von Walter Fähndrich voller Seufzer ist. Noch ist Josef K. allein. Noch weiß er nicht, dass ihn womöglich jemand verleumdet hat. Er ist sich...
im juli: ohad naharin_________
Es gibt Stücke, die hauen einen immer wieder um. «Minus 16» zum Beispiel, zuletzt beim Ballett der Semperoper in Dresden zu sehen, ist so ein unwiderstehlicher, inzwischen
16 Jahre alter Ranschmeißer. Ohad Naharin, seit 1990 Leiter der Batsheva Dance Company, hat viele solcher Wunderwerke choreografiert – und damit nicht zuletzt einer...