Go for Gold
Breaking, auch als Breakdance bekannt, inspiriert seit Jahrzehnten als Trendsport viele Menschen auf der ganzen Welt. Jetzt ist Breaking erstmals bei den Olympischen Spielen in Paris vertreten. Das olympische Wettbewerbsformat ist ein Einzelwettkampf für Damen und Herren, bei dem pro Kategorie 16 Breaker (auch Breakdancer genannt) in einem Eins-gegen-eins-Wettkampfszenario um die Goldmedaille antreten. Jede Wettkampfrunde besteht aus zwei bis drei Tanzrunden, bei denen ein Breaker etwa 30 bis 45 Sekunden lang tanzt und der/ die Gegner*in direkt auf die Tanzrunde antwortet.
Eine neunköpfige, zertifizierte Jury bewertet und vergleicht direkt im Anschluss an jede Runde die Leistung der jeweiligen Breaker nach den fünf Kategorien Technik, Vokabular, Originalität, Ausführung und Musikalität, die zu gleichen Teilen in die Gesamtbewertung einfließen. Die Stimmenmehrheit der Jury in jeder Tanzrunde entscheidet über den Sieg der Runde, wobei die Person den Battle gewinnt, welche die Mehrheit der Runden gewonnen hat und somit im K.-o.-System aufsteigt.
Jahrzehnte der Transformation
Die Aufnahme von Breaking als olympische Disziplin bringt viele strukturelle Veränderungen und Entwicklungen mit sich, einschließlich der Anpassung einer bisher eher informell organisierten Szene an die Strukturen des internationalen olympischen Sports. Weltweit wurden nationale Kader gebildet, in denen sich die besten Breaker des Landes auf die Olympischen Spiele vorbereitet haben. Auch in Deutschland ist seit dem 1. Januar 2020 der Deutsche Tanzsportverband (DTV) als olympischer Verband vom Deutschen Olympischen Sportbund anerkannt. Die Athlet*innen des deutschen Bundeskaders erhalten finanzielle Unterstützung und werden fortlaufend durch den DTV, den deutschen Bundestrainer im Breaking sowie dessen Team betreut. Durch die Teilnahme an den Olympischen Spielen haben Breaker nun auch die Möglichkeit, an Wettbewerben im Stil des organisierten Sports teilzunehmen und ihre Nation zu vertreten. Ein Sieg in den Battles bedeutet nicht nur, Respekt in der Szene zu gewinnen, sondern auch Zugang zu finanzieller Unterstützung durch Förderprogramme für Athlet*innen und Sponsoren. Große Firmen nehmen professionelle Breaker unter Vertrag und in zahlreichen Werbekampagnen werden Breaking-Bewegungen weltweit präsentiert. Auch die Medien nehmen das olympische Breaking in den Blick, sodass derzeit zahlreiche Kinofilme und Dokumentationen ausgestrahlt werden.
Demgegenüber steht eine traditionell informell organisierte Hip-Hop-Kultur, die ihre Wurzeln Anfang der 1970er-Jahre in New York City hat. Breaking entstand ursprünglich auf den Blockpartys, die in den Parks und Hinterhöfen in der Bronx stattfanden. Dort begannen DJs, Ausschnitte von Funk-, Rock- und Soul-Liedern zu kombinieren und schufen so einen neuen Musikstil, den Breakbeat. Als Kinder und Jugendliche sich athletisch und akrobatisch zur Musik bewegten, entwickelten sich die fundamentalen Grundschritte des Breakings. Die Tänzer*innen nannten sich selbst Breaker oder genderspezifisch Break-Boy und Break-Girl, wodurch die Bezeichnungen B-Boy für männliche Breaker und B-Girl für weibliche Breaker entstanden. Mit der Verbesserung ihrer Bewegungsfähigkeiten entwickelte sich ein wettbewerbsorientiertes Umfeld, in dem Breaker in Crews gegeneinander antraten, um Respekt und Anerkennung zu gewinnen. Diese Wettbewerbe, auch Battles genannt, waren Leistungsvergleiche, mit dem Ziel die Gegner durch Geschicklichkeit, Musikalität und kreative Bewegungen zu besiegen.
Bis Breaking seine heutige Form erhielt, durchlief es Jahrzehnte der Transformation. Heute handelt es sich um eine Weiterentwicklung verschiedener Tanzstile mit Wurzeln, die weit über die 1950er- und 1960er-Jahre hinaus in die künstlerischen kulturellen Traditionen der afrikanischen Diaspora zurückreichen. Elemente aus lateinamerikanischen und afrikanischen Tänzen sowie Akrobatik aus der Gymnastik, dem Capoeira und verschiedenen Kampfsportarten wurden übernommen und weiterentwickelt. Als Ergebnis dieser Einflüsse beinhaltet Breaking Polyrhythmik, Polyzentrik und neue Bewegungsachsen im gesamten Körper, was zu unzähligen neuen Formen und Bewegungen führt. Die Bewegungen sind bekannt für ihre Unnatürlichkeit und den Versuch, sich den Gesetzen der Schwerkraft zu widersetzen. Durch diese Einflüsse hat sich Breaking zu einem einzigartigen und innovativen Tanzstil entwickelt, der kaum durch Regeln eingeschränkt wird. Früher waren es die Kinder und Jugendlichen in der Nachbarschaft, die sich Runde um Runde tänzerisch in ihrem Können verglichen. Heutzutage sind es große Wettbewerbe auf internationalen Bühnen, bei denen die Besten der Besten aus aller Welt gegeneinander antreten. Viele B-Boys und B-Girls gründen nach wie vor Crews, mit denen sie an informell organisierten Battles teilnehmen, um die gemeinsamen Werte zu repräsentieren und Anerkennung in der Breaking-Tanzszene zu erhalten.
Breaking eröffnet neue Bewegungsideen, -wege und -möglichkeiten, wodurch fortlaufend viele verschiedene Bewegungskombinationen entstehen. Im Vergleich zu anderen Tanzstilen tanzen Breaker nicht nur auf ihren Füßen, sondern nutzen auch Knie, Gesäß, Rücken, Hände, Ellbogen, Schultern und Kopf als Stützfläche. Die gemeinsame Basis im Breaking sind grundlegende Bewegungselemente, bekannt als die «Breaking Foundation». Diese wurden von Pionieren als Grundtechniken im Breaking etabliert und bilden das feste Fundament des Tanzstils. Die vier Hauptelemente der «Breaking Foundation» sind Toprock (Tanzen in aufrechter Position), Footwork oder Downrock (Tanzen auf dem Boden), Freezes (gehaltene Posen) und Powermove (akrobatische Bewegungen um die eigene Körperachse). Neben diesen Hauptelementen gibt es weitere Unterteilungen wie Drop, Thread, Spin, Blow Up, Air Move und Transition. Jeder Breaker hat sein eigenes Repertoire der «Breaking Foundation» und kombiniert die Elemente nach individuellen Vorlieben und Fähigkeiten zu eigenen, originellen Bewegungen, welche auch «Signature Moves» genannt werden. Neben den bewegungstechnischen Anforderungen spielen im Battle Authentizität und Individualität eine essenzielle Rolle, das bloße Kopieren oder Nachahmen von Bewegungen anderer wird als mangelnde Kreativität angesehen. Obwohl komplexe Bewegungskombinationen im Vorfeld einstudiert werden können, liegt eine große Anforderung an jeden Breaker darin, beim Battle zu improvisieren. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der DJ live Musik spielt, die die Teilnehmenden im Vorfeld nicht kennen, und zum anderen durch den non-verbalen Austausch zwischen Battle-Gegnern, der Jury, dem DJ, dem Host und schlussendlich auch dem Publikum.
Hochleistungssportler und Künstler zugleich
Die Debatte Kunstform versus Sportart besteht im Breaking seit vielen Jahren. Dabei zeichnet sich Breaking sowohl durch die tänzerisch-künstlerische als auch durch die sportlich-athletische Komponente aus. Vergleicht man Breaking mit anderen Hochleistungssportarten, wird schnell klar, dass Breaking Tanz und Sport vereint. Da es im Breaking keine festen Bewegungsabfolgen wie z. B. im Turnen gibt, werden jedes Jahr neue Bewegungen kreiert, die früher als unmöglich galten. Auf Grund der individuellen Freiheit stellt das Bewertungssystem im Breaking eine große Herausforderung dar, der sich Breaker bei der Teilnahme an olympischen Qualifikationswettbewerben stellen müssen. Ursprünglich entschieden erfahrene Breaker aufgrund subjektiver Vorlieben über den Sieg im Battle. Jetzt gibt es fünf Kategorien, die den Unterschied zwischen den beiden Breakern im Vergleich darstellen sollen und den olympischen Juror*innen helfen, fair, transparent und weniger subjektiv Entscheidungen zu treffen. Zusätzlich müssen olympische Juror*innen eine Zertifizierung im olympischen Bewertungssystem «WDSF Level A Judging System» erlangen, welche die Teilnahme an Kongressen sowie eine Prüfung umfasst.
Im Jahr 2020 wurde die Arbeitsgruppe «Breaking for Gold Research» aus einem Team von Breakern, Sportwissenschaftler*innen und Physiotherapeut*innen gegründet. Sie bildet eine wissenschaftliche Kooperation zwischen dem Institut für Tanz und Bewegungskultur der Deutschen Sporthochschule Köln unter Leitung der Professorin Claudia Steinberg, dem Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft der Universität Stuttgart unter Leitung der Professorin Nadja Schott und dem Start-up HE4DS – Health Education for Dancers, das Jens Nonnenmann und Sophie Manuela Lindner, Autorin des vorliegenden Textes, leiten. Zahlreiche Studien wurden bereits durchgeführt und bei internationalen Kongressen präsentiert. Die frühzeitige Spezialisierung aufgrund der Olympischen Spiele und der damit verbundene Anstieg der Trainingsbelastung im jungen Alter sind potenzielle Risikofaktoren für Verletzungen bei jugendlichen Breakern. Anstatt sich kurzfristig auf die Steigerung der Tanzleistung zu konzentrieren, sollte der Schwerpunkt auf der langfristigen Entwicklung der Leistungssteigerung liegen. Aus diesem Grund entwickelte die Arbeitsgruppe 2020 ein Screening-Instrument für junge B-Boys und B-Girls, das mit Hilfe von Indikatoren die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit im Breaking identifiziert. Eine internationale Studie wurde beim weltweit anerkannten «Red Bull BC One 2020 World Final» durchgeführt. Die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit wurde mit verschiedenen standardisierten psychologischen Fragebögen, dem «Movement Competency Screen» (MCS) und einer Modifikation des MCS für spezifische Anforderungen im Breaking beurteilt. Um mehr über die Trainingsgewohnheiten und Verletzungsmuster speziell bei Frauen im Breaking zu erforschen, wurde im Jahr 2020 eine weitere Studie mit 69 B-Girls aus Lateinamerika durchgeführt.
Verletzungs- und Belastungsrisiken
Die Ergebnisse dieser quantitativen Studie lieferten wertvolle Informationen zur Verletzungsprävention und zeigten auf, dass es wichtig ist, Aspekte wie Breaking-Erfahrung, Trainingsvolumen, momentanen Schmerz und Körpergewicht zu berücksichtigen. Während der Weltmeisterschaften 2021 in Paris führte die Arbeitsgruppe eine umfangreiche Datenerhebung mit 64 professionellen Breakern aus Bundeskadern von 43 Ländern durch, um das Leistungsprofil der internationalen Olympiateilnehmenden zu analysieren. Neben demografischen Daten wurden Trainingsgewohnheiten, Verletzungsmuster sowie körperliche und mentale Gesundheit erfasst. Zusätzlich wurden die Teilnehmenden in Elite-Athlet*innen (Platz 1 – 64) und Developing-Athlet*innen (Platz 65 – 600) unterteilt. Die Studie zeigte signifikante Unterschiede in der Teilnahme an Breaking-Wettbewerben auf, wobei Elite-Athlet*innen an mehr Wettbewerben pro Jahr teilnahmen im Vergleich zu Developing-Athlet*innen. Alle 64 Breaker litten in den letzten zwölf Monaten mindestens an einer Verletzung, wobei Elite-Athlet*innen die höchste Verletzungsinzidenz aufwiesen. Desweiteren stellte sich heraus, dass Breaker ihren Körper multidimensional belas-teten, was zu häufigen Verletzungen an den stützenden Körperpartien wie Schultern, Wirbelsäule, Handgelenken und Füßen führte.
2022 führte die Arbeitsgruppe eine internationale Studie mit zwölf professionellen Breakern aus Bundeskadern von sechs Ländern durch, die sich auf Olympia 2024 vorbereiteten. Interviews und Videoanalysen gaben einen fundierten Einblick in die individuellen Trainingsstrategien von Olympia-Breakern. Die Ergebnisse zeigten, dass Breaker Autodidakten sind, ihr Breaking-Training eigenständig ohne Aufsicht durch eine/n Bundestrainer*in organisierten und ihren eigenen Trainingsroutinen folgten. Es wurden gemeinsame Trainingsstrategien identifiziert, wie die Verwendung ähnlicher Aufwärmübungen, welche
Toprock, Footwork und Freeze-Positionen beinhalteten. Breaker trainierten oft allein oder in kleinen Gruppen, indem sie vollständige Battle-Tanzrunden ausführten und Battles simulierten. Zum Erlernen neuer Bewegungen nutzten Breaker verschiedene Lerntechniken einschließlich Bewegungsdissektion und Geschwindigkeitsreduktion. Das Einbinden neuer, komplexer Schritte in bereits bekannte Schrittabfolgen erfolgte durch Trial-and-Error. Im Vergleich zu anderen traditionell olympischen Sportarten mit festen Bewegungsabläufen und standardisierten Techniken für bestimmte Bewegungen, gibt es im Breaking viel kreativen Spielraum, der beim Training und der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2024 berücksichtigt werden muss.
Seit 2023 liegt der Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe auf der Analyse verschiedener Bewegungstechniken der «Breaking Foundation». Am Institut für Tanz und Bewegungskultur der Deutschen Sporthochschule Köln werden umfangreiche biomechanische 3D-Positionsdaten in einem eigens dafür eingerichteten Tanzraum aufgenommen. Das markerlose «Captury Live-Tracking System» zeichnet die Breaking-Bewegungen mithilfe von zwölf Videokameras auf. Anschließend werden die Bewegungen in einzelne Bewegungsphasen wie Schwung- und Flugphasen unterteilt und die Gelenkswinkel in den jeweiligen Phasen untersucht. Die Analyse zeigte, dass die Ausführung von Powermove-Bewegungen von individuellen Faktoren wie der Körperkonstitution und der Kondition sowie Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Koordinationsfähigkeit abhängig ist. Dies verdeutlicht, dass die Technik individuell variieren kann und von der körperlichen Verfassung der Tänzer*innen beeinflusst wird. Die Dynamik in der Bewegungsausführung spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Hier lassen sich verschiedene Bewegungstypen unterscheiden, die den individuellen Tanzstilen der Breaker zugeordnet werden können. Die Forschung der Arbeitsgruppe trägt dazu bei, das Verständnis für das komplexe Zusammenspiel zwischen Bewegungstechniken, Training, Verletzungsmerkmalen, körperlicher und psychischer Gesundheit bei professionellen Breakern zu vertiefen und eine Brücke zwischen verschiedenen Disziplinen zu schlagen, um umfassende Erkenntnisse für die Tanzpraxis und die Tanzmedizin zu generieren. Ein tiefgehendes Verständnis dieser Komponenten ist entscheidend, um wirksame Maßnahmen zur Verletzungsprävention, Rehabilitation und Leistungsoptimierung für olympische Breaker zu entwickeln. Diese äußerst wertvollen Erkenntnisse ermöglichen Trainer*innen und medizinischem Fachpersonal informierte Entscheidungen zu treffen und gezielte Unterstützung anbieten zu können, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Breakern langfristig zu verbessern.
Die Autorin hat Sportphysiotherapie studiert, sich auf Tanzmedizin spezialisiert und arbeitet als Wissenschaftlerin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Sie ist zudem Geschäftsführerin von «Health Education for Dancers» und Vorstandsmitglied von «Urban Health Dance e. V.» sowie Jurorin bei den Olympischen Qualifikationswettbewerben im Breaking. Im März organisierte sie ein Symposium zu «Breaking und Olympia 2024», dessen Beiträge hier zu finden sind.
Tanz Juli 2024
Rubrik: Breaking Olympia, Seite 50
von Sophie Manuela Lindner
Schicksalsschläge! Geliebte Angehörige oder Freunde gehen von dannen und hinterlassen eine große Leere. Aber Trauer muss nicht immer und nicht ausschließlich schwermütig daherkommen, sie kann sich auch in Dankbarkeit für das Empfangene, in Helligkeit und sogar in Freude und Energie, in Zusammenkunft zwischen den Hinterbliebenen, in Wut gegenüber der Conditio Humana ausdrücken, so Angelin...
Niels «Storm» Robitzky ist der wohl erste B-Boy, der es je zu Hochschulwürden brachte. Der bald 55-Jährige unterrichtet als Honorarprofessor an der Anton-Bruckner-Privatuniversität in Linz die Kunst des Urban Dance. Von ihm stammt das Regelwerk, nach dem große, internationale Battles im Hip-Hop bewertet werden, das sogenannte «Trivium»-System. Rechtzeitig vor Olympia erschien zudem sein...
Tanz im August
Das Berliner Festival geht in seine zweite Saison unter der Leitung von Ricardo Carmona. Wir geben einen umfangreichen Überblick über das Programm, mit Kritiken, Interviews und Porträts zu Jefta van Dinther, Jérôme Bel, Amanda Piña und vielen mehr.
Cloud Gate
On Tour: Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan war ein Liebling europäischer Festivalmacher*innen. Dann kam Corona....