Richard Siegal
Wenn es stimmt, dass die Zukunft bereits eingetreten ist – wie der US-amerikanische Science-Fiction-Autor und Erfinder des Begriffs «Cyberspace» William Ford Gibson schon 1993 verkündet hat – so ist diese Zukunft (samt ihren Errungenschaften) heute recht breit gestreut. Und das zu unserem Vorteil. Bei der globalen Rolle rückwärts in den Cyberspace, ausgelöst durch den Anbruch des Zeitalters von Covid-19, hat sich herausgestellt, dass wir der Technologie eine Menge zu verdanken haben.
Trotz durchaus berechtigter Ängste, die von den Medien beobachtet und weiterverbreitet wurden, sollte uns allen inzwischen klar geworden sein, dass die Technologie eben auch eine Rettung für uns ist. Sie bildet, wie die Soziologin Sherry Tuckle es formuliert, das «Second Self» unserer Gesellschaften. Sie ist zum einen empfänglich für die Schwächen und Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur, zum anderen fungiert sie als neue Zufluchtsstätte: Wir sitzen quasi am gemeinschaftlichen Herd, in trautem Miteinander, Schutz suchend vor dem viralen Sturm auf einem Territorium, auf dem wir als Spezies dauerhaft unser Lager aufgeschlagen haben.
Wirkliche Beziehungen
Man betrachte nur den rasanten Anstieg der ...
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Tanz Jahrbuch 2020
Rubrik: Jahrbuch 2020, Seite 90
von Richard Siegal
Wie in so vielen seiner Stücke spiegelt Akram Khan unsere Gegenwart in einem uralten Mythos, und wie so oft mahnt er uns, die alten Weisheiten ernst zu nehmen. Dieses Mal fällt seine Mahnung so düster und hoffnungslos aus, als hätte der Londoner Choreograf die große Verzweiflung des Jahres 2020 vorausgeahnt. «Outwitting the Devil» (tanz 11/19) wurde im Juli 2019...
Ich befinde mich derzeit in einer Art Zwischenwelt. In meinem unmittelbaren Umfeld war nichts, was ich als katastrophal empfunden hätte. In dem Künstlerumfeld sind alle Überlebenskünstler und prekäre Situationen gewohnt. So was wie bankrott gibt’s da nicht. Man hatte immer genau genug zum Überleben, und jetzt gerade überlebe ich auch. Es fühlt sich noch nicht an...
Die fundamentale Bedeutung, die zwischenmenschliche Berührung für uns Menschen hat, wird vielen wohl erst jetzt klar – in einer Krise, in der man sich nicht mehr berühren darf. All die kleinen Alltagsberührungen, zur Begrüßung, zum Abschied, aus Dank, als Anerkennung, als Aufmerksamkeit, als Trost, als Geste der Unterstützung – sie müssen wegfallen. Und...