Anna Karenina

Eine Tragödie der Weltliteratur, an der sich ein Choreograf nur zu leicht verheben kann, Hamburgs Ballettchef John Neumeier aber triumphiert – dank einer ganz und gar heutigen Heldin

Tanz - Logo

Der Blick ins Programmheft löst Beklommenheit aus: Tschaikowsky, Alfred Schnittke und Cat Stevens, Soft-Song-Ikone der 1970er-Jahre, sollen die musikalische Rahmung besorgen? Reichlich dissonante Mischung, die nichts Gutes ahnen lässt für die Aufführung, die gleich in Hamburgs Staatsoper anrollen wird. Drei Stunden später ist man bekehrt, und damit keineswegs allein. Das ganze Parkett ist auf den Beinen. Steht, klatscht, jauchzt­ «Bravo». Kein einziges «Buh» versalzt die Jubelarie, die über John Neumeier und seinen Tänzern niedergeht.

Der Choreograf und Intendant des Hamburg Ballett hat soeben die «43. Ballett-Tage» mit einer Uraufführung eröffnet, die vielleicht in die Annalen des Hauses eingeht: «Anna Karenina» könnte der letzte Erzählstoff sein, den der Amerikaner für die Bühne am Dammtor zugeschnitten hat. In zwei Jahren endet seine Ägide, wohl unwiderruflich.

Politprofi Karenin

«Anna Karenina» bleibt davon unberührt, geht als Hanse-Export ans Moskauer Bolschoi und nach Toronto. Umso klüger war Neumeier­ beraten, der Versuchung einer gut verkäuflichen Reprise zu widerstehen. Statt das Erfolgsrezept der 1978 vorgestellten «Kameliendame» zu kopieren und das Sittengemälde aus der ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von tanz? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle tanz-Artikel online lesen
  • Zugang zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von tanz

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Tanz August/September 2017
Rubrik: Produktionen, Seite 12
von Dorion Weickmann

Vergriffen
Weitere Beiträge
Berliner Festspiele

Zum vierten Mal findet im Haus der Berliner Festspiele das «Tanztreffen der Jugend» statt – eine Plattform für Amateur-Ensembles, die für exzellente Vermittlungsarbeit stehen. Eine Jury hat sieben Kompanien ausgewählt, die vom 22. bis zum 29. September ihre Arbeiten in der Hauptstadt zeigen und sich ­außerdem miteinander austauschen werden. Als da sind: ENSAMPLE...

Tauziehen in Dresden

Bautzner Straße 107, 01099 Dresden – eine Adresse mit höchster tanzhistorischer Priorität. Hier wohnte, wirkte, lebte Mary Wigman, Ikone des Ausdruckstanzes, bedeutsam auch fürs nationale Kulturerbe. Der letzte Mieter des Hauses war die Semperoper, die es als Probebühne und für kleinere Showings nutzte. Seit ihrem Auszug steht es leer, der Eigentümer will es...

Sommernachtstango

Meistens tanzen sie hinter verschlossenen Türen, auf glatten Parkettböden: Tangotänzerinnen in eleganten Kleidern, Tangotänzer in feinen Hemden. Der Sommer öffnet ihnen andere Räume, in München oder anderswo. Melancholische Tangomusik schallt aus Lautsprechern über öffentliche Plätze. Die Kleidung ist leger. «Open Street Milongas» heißen die Tango-Stunden, die...