Tradition
Tanz hat etwas von Totengräberei: Wir beschwören die Toten und hoffen auf das Leben. In diesem Paradox scheinen die zwei Seiten des Tanzes auf: Einerseits lebt er von der Tradition, andererseits ist er nicht, oder jedenfalls nur schwer zu bewahren. Manchmal denke ich sogar, dass man ihn gar nicht bewahren sollte, weil er so vom Moment lebt und so gesehen schon die Strecke vom Choreografieren im Studio zur Aufführung eigentlich sinnlos ist.
Der akademische Tanz, der mit seinem Kanon von Schritten den Rahmen für das Schaffen bildet, ist nur ein winziger Versuch, etwas einzuschränken, zu disziplinieren, was ungeheuer frei ist, nämlich Tanz und Leben. Jede Formsuche zielt ja darauf ab, sich trotzig dem Unerklärlichen entgegenzustellen. Formen schaffen Tradition und brauchen Tradition, um überliefert zu werden. Tradition schafft Sicherheit und Wärme, Verlässlichkeit, um nicht ganz ins Nichts zu fallen, während man etwas tut. Die respektvoll respektlose Aufgabe ist es, die Tradition einzubeziehen, aber zugleich infrage zu stellen, um etwas neu aufzubauen. Das Erbe und das Erreichte in der Tanzkunst verhindern oft einen neuen Blick. Andererseits bemühen sich die wenigsten, in etwas Neuem ...
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Tanz Jahrbuch 2014
Rubrik: wuppertal: pina bausch, Seite 84
von Marco Goecke
Antony Rizzi ließ in seinem jüngsten Stück fürs Gärtnerplatztheater einen Tänzer sagen: «Ich danke Bill Forsythe, bevor er vergessen wird.» Es ist die bündigste Formel, auf die sich die logische Konsequenz aus den lakonischen Meldungen der vergangenen Monate um den Choreografen William Forsythe bringen lässt – im schlimmsten Fall. Am 31. Dezember 2013, einen Tag...
Mitsutake Kasai hat einen berühmten Vater: den legendären Butoh-Tänzer und Choreografen Akira Kasai, der ab 1972 mehrere Jahre in Deutschland lebte und später den Sohn die Kunst des Butoh lehrte. Zeitgenössischen Tanz studierte er bei Kota Yamazaki, der oft in den Stücken seines Vaters tanzte. Nach weiterführenden Studien in New York begann Mitsutake Kasai, eigene...
«Ich bin der stille Schatten im Hintergrund», sagt Christopher Roman einmal in der Mitte des langen Gesprächs. Wenn es um die Forsythe Company geht, ist die Rede zur Zeit meist von William Forsythe selbst, der die Leitung aus gesundheitlichen Gründen abgegeben hat, aufgeben musste, und Jacopo Godani, der ab August 2015 an die Spitze einer Truppe rückt, die dann...