Salto vitale

Ein Etikett, eine Erfolgsgeschichte: «Zeitgenössischer Zirkus» wird nicht mehr als minderes Spektakel beargwöhnt – und kriegt neuerdings Förderung

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Wie so oft in der Kunst: Die Innovation beginnt mit einer Rebellion, mit Wut, Protest, moralischem Aplomb. «Missbrauch in der Manege!», tönt es in den 1970er-Jahren. «Lebenslanges Leid!» Es sind die Tierschutzverbände, die anklagend mit den Fingern auf die Wanderzirkusse zeigen: Raubkatzen, Elefanten, Robben, ja sogar Krokodile als Showacts? Das ist Tierquälerei. Ab jetzt muss jeder ein schlechtes Gewissen haben, der einen Löwen durch einen Feuerring springen sehen will.

Denn das war Zirkus bis dahin doch: Menschen, Tiere, Sensationen! Akrobaten hoch unter der Zelt-Decke im Glitzerkostüm. Der Duft von Sägespänen, Pferdeäpfeln, Popcorn. Ein Clown stolpert und begreift nicht, warum. Und ein Löwe reißt bedrohlich sein Maul auf. Zirkus – ein Mischmasch aus Mensch-Tier-Dressuren in der Arena, dem «runden Ungetüm in bunten Farben», wie der Theaterkritiker Alfred Kerr lästerte. Und dahinter ein Leben in schäbigen Wohnwagen. Die schmuddelig-tragische Welt des Wanderlebens und der Familiendynastien, die ihre Kunst von Generation zu Generation weitergaben. In Filmen und Romanen lebt dieses Klischeebild bis heute fort. Noch immer greifen Autoren und Regisseure auf die 1920er-Jahre zurück, ...

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Tanz April 2024
Rubrik: Zeitgenössischer Zirkus, Seite 48
von Nicole Strecker

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