Akram Khan: «Giselle»
In seinem Essay «Warum Klassiker lesen?» definiert der italienische Schriftsteller Italo Calvino jene Werke als «Klassiker», die sich aufgrund ihrer spezifischen Relevanz entweder als unvergesslich erweisen, oder die, aus den Tiefen des Gedächtnisses geborgen, als Äußerungen des kollektiven Unbewussten zutage treten. Calvino bezieht sich freilich auf die Literatur; seine Ausführungen lassen sich indes ebenso auf die anderen Kunstformen, also auch auf das Choreografieren, übertragen.
Und liefern uns womöglich die Antwort auf die Frage, warum auch «Giselle» zu den Klassikern gezählt werden darf: als Höhepunkt des romantischen Balletts, dessen Genialität sich in den zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten widerspiegelt, die sich seiner angenommen haben; zugleich aber auch als «offenes Werk» im Sinne der Definition Umberto Ecos.
Möglicherweise haben die vom Sujet inspirierten Autoren – allen voran der romantische Dichter Théophile Gautier – das Arrangement bestimmter Komponenten des Werks sogar unbewusst einer gewissen Offenheit und Veränderbarkeit, oder anders ausgedrückt: einer persönlichen Deutungsfreiheit überlassen. Hat dieser Umstand damit zu tun, dass in «Giselle» gleich mehrere ...
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Tanz Jahrbuch 2017
Rubrik: Die Saison 2016/17: The winners are ..., Seite 134
von Silvia Poletti
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