Erbe
Die junge Frau hat Angst – Todesangst. Sie tanzt um ihr Leben, gejagt von den schneidenden Klängen und erbarmungslosen Dissonanzen Igor Strawinskys. Elementare, rhythmische Wucht sucht ihren Körper heim. Tänzer nähern sich ihr bedrohlich. Sie sucht ihnen zu entkommen, schlägt die Arme um den bebenden Körper. Und neigt irgendwann, resigniert, den Kopf. Anique Ayiboe aus Togo ist das Opfer in Pina Bauschs wohl berühmtestem Werk «Das Frühlingsopfer» von 1975 – und tanzt es ergreifend.
Erst schüchtern, dann hilflos flatternd wie ein verängstigter Vogel, schließlich panisch wie eine in die Enge getriebene Raubkatze. Ayiboe ist Teil des Ensembles von Tänzer*innen aus 14 afrikanischen Ländern, die die Pina Bausch Foundation eigens castete für diese großartige Kooperation. In Germaine Acognys École des Sables im Senegal südlich von Dakar studierten Jo Ann Endicott, Jorge Puerta Armenta und weitere Probeleiter*innen das Opus Magnum ein. Die Aufführung beweist, dass das Erbe der Wuppertaler Ikone durch die Übergabe an andere Kompanien nicht verlieren muss, sondern, im Gegenteil, durch eine neue Interpretation eine neue Dimension gewinnen kann. Auch wenn die Afrikaner*innen Bauschs ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von tanz? Loggen Sie sich hier ein
- Alle tanz-Artikel online lesen
- Zugang zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von tanz
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Tanz Jahrbuch 2023
Rubrik: Pina Bausch, Seite 58
von Bettina Trouwborst
Wer mitbekommen hat, dass im zurückliegenden Frühjahr in Ungarn die 10. Internationalen Theatre Olympics mit einem Budget von umgerechnet 18 Millionen Euro stattfanden, unter anderem mit Peeping Tom und Dimitris Papaioannou, könnte meinen, für den Tanz liefe alles bestens im Land. Doch im Frühsommer betrauerte die zeitgenössische Szene auf einer...
1973 war das schwierigste Jahr meines Lebens. Meine ganze Welt ist zusammengebrochen. Am schlimmsten war, dass ich – im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern der Kompanie – nicht bei ihm, bei John Cranko im Flugzeug war. Normalerweise saß ich immer direkt hinter oder vor ihm. Diesmal, am Ende des USA-Gastspiels, bin ich mit Ricky – Richard Cragun – nach Brasilien...
«Er ist die große Ausnahmeerscheinung unter den Ballettschöpfern seiner Generation: ein Romantiker par excellence, ein Träumer, ein Poet, in einer Welt lebend, die von Fabelwesen und Fantasiegestalten bewohnt wird, von Harlekinen und Clowns, von weisen Narren und närrischen Weisen, von Geschöpfen, deren Seele so empfindlich ist, dass sie sie hinter Masken und unter...