Chris Jäger «Daddy Shot My Rabbit»
Am Ende fließt Kunstblut und es fallen Schüsse, aber die Tänzerin mit den süßen, weißen, puscheligen Hasenohren überlebt, genau wie die anderen dieser seltsamen Gemeinschaft, die vielleicht eine Familie ist – Großmutter, Mutter, zwei Kinder. Vielleicht aber auch nicht. Sie scheinen miteinander verbunden, ergehen sich in waghalsig akrobatischen Hebe- und Wurf-Figuren, für die es viel Vertrauen braucht, verharren jedoch zugleich in Isolation und Distanziertheit.
Etwas ist geschehen, aber was und wem? Chris Jäger erzählt von der Wirkung traumatisierender Erlebnisse auch auf diejenigen, die nicht unmittelbar Betroffene gewesen sein mögen. Aber er erzählt in Andeutungen, alle Szenen bleiben interpretierbar, was raffiniert gemacht ist und die Spannung hochhält. Man kann nur erahnen, dass etwas Traumatisierendes geschehen ist, auch die Figuren selbst scheinen dies mehr zu spüren als zu wissen – so zeigt es sich in ihren impulsiven, fast manischen Bewegungen, mit denen sie etwas Unverstandenes umkreisen, vielleicht ein Geheimnis. Und so erbeben, erzittern und erschaudern sie, sind in ruheloser Daueranspannung gefangen, in hektischem Aktionismus, wirken wie fiebrig eingekapselt in nervöser ...
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Tanz Oktober 2023
Rubrik: Kalender, Seite 40
von Frank Schmid
«Alle wissen’s», heißt es einmal im Stück, «Everybody knows». Es gibt nichts, was nicht bereits gewusst wird, alles ist schon begriffen: Umwelt, Klima, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Klassismus, Rassismus, Diversität. Es gibt kein Unwissen. Vielmehr gibt es zu allem immer noch eine Haltung und Meinung. Und schon weiß niemand nichts mehr. Doch auch das ist eine Form...
CD des Monats
KRATT
Man könnte Kratt als fernen Verwandten des jüdischen Golem bezeichnen: Wie dieser wird der estnische Kratt von Menschenhand geformt. Vom Teufel zum Leben erweckt, lässt er sich seine Dienste allerdings mit der Seele seines Schöpfers bezahlen: ein Kobold, wie geschaffen für ein dramatisches Ballett. Eduard Tubin hat es denn auch auf Grundlagen...
Die Halle k6 im Hamburger Produktionshaus Kampnagel ist riesig. Und Patricia Carolin Mai nutzt den riesigen Raum bis auf den letzten Quadratmeter – indem sie ein 105-köpfiges Ensemble auf die Bühne stellt. Tänzer*innen mit und ohne Tanzausbildung hat sie zur Uraufführung von «Rausch» hier versammelt, alte, junge, große, kleine, hell- und dunkelhäutige, eine...