Choreograf des Jahres: Marcos Morau

Ein politischer Wach- und Aufrüttler, der keinerlei Abstriche an der Ästhetik macht, sondern grandioses Bildertheater

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«Liebe mich – und heute Nacht wird alles möglich sein!» Verspricht die queere Königin der Nacht und schickt ein dämonisches Lachen hinterher. Die Party der Abgründe beginnt. Marcos Moraus «Nachtträume» für das Ballett Zürich nehmen Gestalt an als cooler Totentanz in Stummfilm-Schwarz-Weiß zu schnellen Rhythmen und sanften Melodien. Gestochen scharfe Bilder rasen vorbei.

Es sind präzise choreografierte, revueartige Szenen, die den Geist der 1920er- und 30er-Jahre atmen: ein großer runder Tisch, an dem die androgynen Figuren mit gelacktem Haar tänzerisch konferieren; Herren in dunklen Anzügen, die so hoch geschnitten sind, dass ihre Köpfe darin verschwinden und ihnen eine Lichtkugel aus dem Kronleuchter als Kopf aufgesetzt wird. Totalitarismus, Nazismus, Kriegsgefahr – alles ist wieder da. Die cineastischen und tanzhistorischen «Nachtträume» sind ein Meisterwerk. Sie zitieren mit unzähligen Referenzen die Welt-, Tanz- und Kunstgeschichte: von Kurt Jooss‘ «Der Grüne Tisch» über Leni Riefenstahl und Luis Buñuel bis René Magritte. Die Ovationen für das Anti-Kriegsballett des 21. Jahrhunderts bei der Uraufführung im September 2022 im Züricher Opernhaus sind mehr als Applaus. Sie sind ein ...

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Tanz Jahrbuch 2023
Rubrik: Die Saison 2022/23, Seite 130
von Bettina Trouwborst

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