Unterwegs zu neuen Ufern

Nach unzähligen Auftritten als Mozarts Don Giovanni und Almaviva hat der kanadische Bassbariton Gerald Finley behutsam, aber stetig den Radius seines Repertoires erweitert: Tschaikowskys Onegin, Debussys Golaud, Verdis Jago, Adams’ Oppenheimer und demnächst Wagners Sachs bezeugen eine reflektierte Entdeckerlust, die das Potenzial der Stimme ausschöpft, ohne über das Ziel hinauszuschießen. Wie er die vokale Entwicklung vorantreibt, ohne sich zu schaden, warum Guglielmo und Papageno nichts (mehr) für ihn sind, er ­eines Tages gern Verdis Philipp machen würde und sich Komponisten wünscht, die mehr vom Singen verstehen, erzählt Finley im Gespräch mit Jörg Königsdorf.

 

Mr. Finley, Sie singen Schumanns «Dichterliebe» nicht als heißblütige Liebeserfahrung, sondern aus der Rückschau aus der Rückschau eines gereiften Mannes. Empfinden Sie auch bei Ihren Opernrollen einen grundsätzlichen Wechsel der Perspektive?

Natürlich, das liegt auch an der Erfahrung mit Regisseuren. Dadurch gewinnt man neue Einsichten darüber, was in einer Figur steckt. Deshalb macht es mir auch immer wieder Spaß, zu diesen Rollen zurückzukehren.

Nehmen Sie den Almaviva im «Figaro»: Als junger Mann habe ich ihn wie einen Menschen ohne Gefühle und Pflichtbewusstsein porträtiert. Das ist aus meiner heutigen Sicht ziemlich flach, weil es nur Macht ohne Verletzlichkeit zeigt. So entsteht kein interessanter Charakter. Es hat mir sehr geholfen, dass ich dann den Figaro gesungen habe: Heute will ich zeigen, dass Almaviva weiß, was Figaro im Schilde führt, und dass er die Ruhe hat abzuwarten, dass er darauf vertraut, es werde sich schon alles in seinem Sinn entwickeln. Erst dadurch habe ich übrigens auch gemerkt, dass der Graf im dritten Akt von Mozart und Da Ponte mit geradezu britischem Humor gezeichnet wird: Wenn er gar nicht verstehen kann, warum die Dinge plötzlich ganz anders ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Februar 2010
Rubrik: Interview, Seite 22
von Jörg Königsdorf

Vergriffen
Weitere Beiträge
Der Ort macht die Musik

Wenn die alten Römer vom Genius Loci sprachen, so stellten sie sich einen Geist vor, der seine schützende Hand über einen Tempel oder das eigene Haus hielt. Später, als in Europa das Christentum die Deutungshoheit erobert hatte, bezeichnete der Begriff eine Art spirituelle Energie, die sich, vom Himmel gestiftet, durch auserwählte Menschen auf leblose Mauern...

Geliebtes Monster

Fünf Theater ehren einen Komponisten: In einem einzigartigen Kooperationsmodell veranstalten die Opern von Zürich und Genf, die Dreispartenhäuser von Luzern und Bern sowie das Theater Biel/Solothurn einen mehrere Spielzeiten übergreifenden Zyklus mit Werken von Bohuslav Martinu. Anlass war der 50. Todestag des Komponisten im Sommer 2009, Initiator der Reihe ist der...

Glücklich vereint

Iphigénie en Aulide», Glucks erste Reform­oper, wurde in Paris begeistert aufgenommen. Nur mit dem Schluss der Aulischen «Iphigénie» waren weder Gluck noch das Publikum wirklich zufrieden. Dass am Ende von zwei Stunden aufwühlendster Seelenentblößung der Oberpries­ter Calchas auf Geheiß der Göttin Diana die Entführung Iphigenies verkündet, lässt tatsächlich fast...